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Biser, Eugen; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1990, 1. Abhandlung): Die Bibel als Medium: zur medienkritischen Schlüsselposition der Theologie; vorgetragen am 27. Januar 1990 — Heidelberg: Winter, 1990

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https://doi.org/10.11588/diglit.48159#0040
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Eugen Biser

punkte in dem Versuch erreicht, die markinische „Kurzformel“ vom
Beginn der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu (Mk 1,15) einer evozie-
renden Lektüre zu unterziehen. In einem ersten Anlauf, der den neu-
testamentlichen Wortlaut weitgehend beibehält, lautet seine Version:
Die Stunde ist gekommen! Gottes Herrschaft bricht an!
Ändert euch! Verlaßt euch auf mein Wort!
Im zweiten und entscheidenden Schritt aber stößt Machovec das bibli-
sche Sprachgewand vollends ab, um sich vorbehaltlos auf den „Grund-
ton“ der Menschlichkeit einzustimmen. Demgemäß lautet seine Neufas-
sung nunmehr:
Lebt anspruchsvoll, denn vollkommene Menschlichkeit ist möglich.73
Im Horizont der kulturgeschichtlichen „Wiederholung“ gesehen, wie sie
Walter Wimmel in seinem Durchblick ,Die Kultur holt uns ein‘ (von
1981) glaubhaft machte, verdichtet sich das letztlich zu dem Eindruck,
daß sich im Prozeß der Schriftwerdung der Botschaft Jesu der Übergang
der Menschheit zur Textualität wie in einem Brennpunkt spiegelt.74
„Wie in einem Brennpunkt“, besagt dann aber auch, daß hier die Ge-
setze der Medienverwendung auf paradigmatische Weise zum Vor-
schein kommen. Wenn das der Fall ist, darf im Sinn der Ausgangsver-
mutung daraus geschlossen werden, daß die Theologie seit alters den
Schlüssel zum Medienproblem, auch in seiner modernen Gestalt, in
Händen hält, vorausgesetzt nur, daß sie begreifen lernt, daß sie im Um-
gang mit den biblischen Schriften immer schon mit dem Medienproblem
befaßt ist, daß also, einfacher ausgedrückt, die Bibel - ein Buch ist.

73 M. Machovec, Jesus für Atheisten, Stuttgart 1972, 81; 102. Daß dieser Deutungs- und
Übersetzungsversuch von einem der Initiatoren des ,Prager Frühlings1 unternommen
wurde, wirkt in der Rückschau auch in zeit- und glaubensgeschichtlicher Hinsicht wie
eine kompensatorische Tat. Denn mit ihr verwies Machovec auf die von seinen Zeitge-
nossen kaum wahrgenommene Tatsache, daß der Machtdemonstration des Stalinis-
mus, dem im Westen der Einbruch des Neomarxismus entsprach, in Gestalt der Neu-
entdeckung Jesu jenes spirituelle Ereignis gegenüberstand, das sich nach seiner aus-
drücklichen Bekundung schließlich mitverursachend auf die Überwindung der östli-
chen Diktaturen auswirkte.
74 Dazu die grundlegende Untersuchung von Walter Wimmel, Die Kultur holt uns ein.
Die Bedeutung der Textualität für das geschichtliche Werden, Würzburg 1981.
 
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