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Biser, Eugen; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1990, 1. Abhandlung): Die Bibel als Medium: zur medienkritischen Schlüsselposition der Theologie; vorgetragen am 27. Januar 1990 — Heidelberg: Winter, 1990

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https://doi.org/10.11588/diglit.48159#0043
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Die Bibel als Medium

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Akten der Traditionsbewahrung, sondern insbesondere auch der
sprachlichen Um- und Neugestaltung empfanden, wird freilich mehr an-
gedeutet als ausgeführt, so daß auch deren spezifische Sprachleistung
letztlich im dunkeln bleibt. Bezeichnend dafür ist die - negativ argumen-
tierende - Herleitung des nachösterlichen Zu-Wort-Kommens des Ky-
rios aus dem Eindruck der Jüngergemeinde, daß der „geschichtliche Je-
sus nicht alles gesagt“ habe, „was er hätte sagen können und sollen“
(121). Demgemäß wird dann auch der Vorgang der Verschriftung nicht
als eine neue, von den Vorformen abgehobene Stufe des sonst so sorg-
fältig nachgezeichneten Transformationsprozesses in Anschlag ge-
bracht.
Testfall für die Würdigung der sprachlichen Kreativität Jesu und der
ihm zukommenden Stellung in der Geistes- und Sprachgeschichte der
Menschheit ist mit in erster Linie die Formanalyse und Interpretation
seiner Gleichnisse, die Müller, bezeichnend für das von ihm privilegierte
Verfahren, mit der „sprachlichen Defizienz“ der Ausdrucksfähigkeit
Jesu, also mit den seinem Aussagewillen gezogenen „Sprachbarrieren“
in Zusammenhang bringt (132). Die durchaus sachgerechte Strategie
verfehlt jedoch ihr Ziel, wenn nicht gesehen wird, daß Jesus gerade in
seinen Gleichnissen die „Not“ des Unsagbaren in die „Tugend“ eines
Sprachwerks umsetzt, das den Hörer zur Abschirrung seiner Vorurteile
und Voreingenommenheiten, also zu jener „Metanoia“ veranlaßt, die
der „Urproklamation“ Jesu (Mk 1,15) zufolge die Voraussetzung für
den Eintritt ins Gottesreich bildet.78 So wichtig es ist, bei der Rekon-
struktion seiner Sprachleistung auf die restriktiven - und erweiternden -
Bedingungen seines Redens einzugehen und die Deutung schließlich bis
in die Nähe theologischer Aussagen über ihn „als Offenbarungsträger
und Gottessohn“ voranzutreiben (130), ist das Argumentationsziel doch
erst dann erreicht, wenn sich mit der Akzeptanz und Deutung seiner
Worte jene Konnotation des Angesprochenseins durch Gott verbindet,
die den „Tiefsinn“ seines Redens erschließt und die für die seiner Bot-
schaft verpflichtete Jüngergemeinde Anlaß war, ihn das fleischgewor-
dene „Wort“ zu nennen.79 Auf das Medienproblem, auch schon in seiner
78 Näheres dazu in meiner Theologischen Sprachtheorie und Hermeneutik, München
1970,191-200; 316f.; 459-469; ferner meine Untersuchung ,Religiöse Sprachbarrieren,
Aufbau einer Logaporetik1, München 1980, 165-169.
79 Die auffällige Tatsache, daß der Logos-Titel im Corpus des Johannesevangeliums nicht
aufgenommen und fortgeführt wird, spricht entscheidend für ein mediales, nicht in-
haltliches Verständnis des Ausdrucks. So berechtigt es ist, den motiv- und religionsge-
schichtlichen Zusammenhängen nachzugehen, wie dies die Forschung mit größtem
 
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