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Belting, Hans
Abhandlungen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1970, 1. Abhandlung): Das Illuminierte Buch in der spätbyzantinischen Gesellschaft: vorgelegt am 20. Juni 1970 von Walter Paatz — Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag, 1970

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https://doi.org/10.11588/diglit.73391#0035
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Das illuminierte Buch

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laufen hat55. Wir müssen die Handschrift aus der Geschichte der paläologi-
schen Buchmalerei als Außenseiterin ausschließen. Ihre Einheit von Text und
Bild ist kaum als Ergebnis einer Zusammenarbeit von Maler und Schreiber zu
denken, sondern offensichtlich als Alleingang eines Schreibers, den wir als
professionellen Kalligraphen auch sonst nachweisen können.
So bestätigt sich wieder die Regel, daß Schreiber und Maler in getrennten
Arbeitsgängen und nicht selten ohne Kontakt miteinander ihren Beitrag zum
illuminierten Buch in unserem Zeitraum geleistet haben. Die Funktionsnähe
des Buchbildes zur Ikone der Zeit, die auch die ästhetischen Maßstäbe setzte,
mag zum fortschreitenden Desinteresse an der Miniatur als Textbild mit
eigenen Gesetzen nicht unwesentlich beigetragen haben und ist bereits in sich
selbst ein gesellschaftliches Phänomen. Die materielle Trennung von Bild und
Text, wie wir sie zum Beispiel in den Pariser Gregorhomilien, Cod. gr. 543,
vorgefunden haben56, wurde hierdurch nur noch begünstigt. Das Buchbild
verselbständigte sich bis zu einem gewissen Grade, was dann wiederum zu seiner
Dekadenz beitrug, da es hiermit in den Schatten der Ikone trat57. Zum zweiten
ist die Adoption der Buchmalerei durch die Werkstätten der Freskisten und
Ikonenmaler gewissermaßen die technische Ursache für die materielle Tren-
nung von Bild und Text. Bleiben wir bei der Metapher der Adoption, so folgt
daraus, daß die Plätze der Miniaturisten in den Schreibstuben der Klöster
verwaisten. Tatsächlich ergibt sich aus alledem, daß die Klöster in spätbyzan-
tinischer Zeit keine organisierten Scriptorien mit regelmäßigen buchkünst-
lerischen Aufgaben unterhalten, also mit einer großen Tradition aus der vor-
lateinischen Zeit Konstantinopels gebrochen hatten. Sicherlich läßt sich das
auch auf ökonomische Gründe zurückführen, die noch deutlicher in Erschei-
nung treten, wenn wir danach fragen, ob die Klöster illuminierte Bücher, wenn
schon nicht hergestellt, so doch für den eigenen Gebrauch in Auftrag gegeben
haben - und darauf wird negativ zu antworten sein. Wir müssen also die Stif-
ter kennenlernen und ihre Motive zu erhellen versuchen. Ein Überblick über
die Texte, die illustriert wurden, soll uns diese Aufgabe erleichtern.

55 Es ist ein verbreiteter Irrtum, daß die aufgezeichnete Naturbeobachtung oder das Zitat nach
verschiedenen Vorlagen bereits Signum eines künstlerischen Wollens sein müßten. Sie werden
das erst, wenn ein Konzept hinter ihnen steht. Vgl. zu der erst spät angebahnten Verbindung
von „truth to nature and consistency in style" im Trecento O. Pächt, in Journal of the Warburg
and Courtauld Institutes 13, 1950, 13ff.

56 Vgl. Anm. 30.

57 Eine gewisse Parallele zur Entwicklung der abendländischen Buchmalerei ist nicht zu über-
sehen. Hier und dort wird das Buchbild von seiner eigenen Gattung entfremdet. Doch lassen
sich die Gründe nicht auf einen Nenner bringen, die jeweils für die Dekadenz des Buchbildes
und seine Abhängigkeit vom Tafelbild verantwortlich wurden.
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