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Seeliger-Zeiss, Anneliese; Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Mitarb.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Mitarb.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Mitarb.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 47 = Heidelberger Reihe, 13. Band): Die Inschriften des Landkreises Böblingen — Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.57659#0023
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außergewöhnlich, weil sie mit Figuren und Reliefs biblischen Inhalts geschmückt waren und hin-
sichtlich ihres künstlerischen Ranges die übliche Grabmal-Produktion anderer Amtsstädte über-
trafen41. Zum andern wurden sie vermutlich Ende des 19.Jahrhunderts, als die Neo-Renaissance
blühte, wegen ihrer Ornamentik und Schriftkunst geschätzt. Außerdem befanden sie sich damals
überwiegend am Außenbau und in der Turmvorhalle und störten die Innenraum-Konzeption des
Architekten Dolmetsch nicht.
Im Falle von Leonberg sind die Bestimmungen zum Begräbniswesen der Stadt relativ vollständig
überliefert und erforscht42. Da die Leonberger Verhältnisse von denen in anderen Amtsstädten ver-
mutlich nur geringfügig abweichen, sollen diese kurz dargestellt werden. Ursprünglich war der Be-
gräbnisplatz für die Leonberger bei der noch bis ins 16. Jahrhundert bestehenden Mutterkirche in
dem abgegangenen Dorf Dilgshausen gelegen. Um die Stadtkirche herum entstand spätestens seit
dem 14.Jahrhundert der eigentliche städtische Kirchhof; seit 1486 ist hier eine „Gruft“, vermutlich
ein Beinhaus in Verbindung mit einer Johannes-Kapelle, nachweisbar43. Em neuer Friedhof vor den
Toren der Stadt wurde 1571 angelegt und zur Unterscheidung vom bisherigen Bestattungsort „Got-
tesacker“ genannt; Ursachen für die Verlegung mögen das Bevölkerungswachstum, aber auch die
Forderungen Martin Luthers hinsichtlich der Lage eines Begräbnisplatzes außerhalb der Stadt gewe-
sen sein44. Im Jahre 1582 ist die Gebührenordnung für die Begräbnisse neu geregelt worden. Danach
bestanden vier Möglichkeiten für eine Bestattung, die nach der Rangfolge des Ortes im Preis gestaf-
felt waren. Das Begräbnis im Innern der Kirche war nur bestimmten Personen der sozialen Führungs-
schicht vorbehalten, nämlich schon seit dem späten 15.Jahrhundert dem adligen Obervogt und
seinen Angehörigen sowie der Pfarrerschaft. Offenbar mußte für dieses Vorrecht keine Gebühr ent-
richtet werden43. Gegen eine hohe Gebühr von 15 Gulden wurden adlige Personen des Umlandes
(nrr. 269, 402) sowie Angehörige hoher Amtspersonen wie die Frau des Untervogts Georg Genkin-
ger 1580 auf Antrag hin ebenfalls in der Kirche bestattet46. Glieder der Ehrbarkeit konnten durch em
Epitaph oder em monumentales Grabdenkmal in oder an der Kirche vertreten sein wie das Ehepaar
Korn (nr. 356); das Paar lag auf dem Kirchhof begraben gegen eine Gebühr von jeweils 7 Pfund Hel-
ler (5 Gulden)47. Das Privileg, in der offenen Vorhalle in gemauerten Grüften begraben zu werden
und dort Denkmäler errichten zu dürfen, besaß im 16. Jahrhundert exklusiv die Familie Dreher für
ihre Verwandtschaft46. Die Gebühr für die Bestattung betrug hier 10 Gulden. Anläßlich der Bestat-
tung des Dr. Philipp Jacob Weihenmaier als eines eingeheirateten Verwandten der Dreher im Jahr
1632 in der Vorhalle werden als Bildhauer-Kosten für die Grabplatte 8 Gulden genannt; ein Maurer
erhält „umb den Grabstein“ 1 Gulden 20 Kreuzer, vermutlich für das Versetzen49. Die Bestattung
außen auf dem Kirchhof an der Südwand des Langhauses kostete 1593 5 Gulden; dabei war gleich-
gültig, ob es sich um die Bestattung eines Erwachsenen oder eines Kindes handelte3'1. Ihrem sozialen
Status nach waren die hier Bestatteten vermögende Angehörige der Ehrbarkeit und Glieder der evan-
gelischen Pfarrerschaft. Die übrigen Bewohner Leonbergs wurden auf dem Gottesacker begraben,
wo sich keine Grabmäler aus der Zeit vor 1650 erhalten haben. Seit 1997 konnten im Zuge einer
beispielhaften Rettungsaktion die zwölf Grabdenkmäler an der südichen Außenwand der Kirche
restauriert und ins Innere des Langhauses versetzt werden51. Auch wenn damit die Serie von Denk-
mälern ihren ursprünglichen Standort auf dem Kirchhof verloren hat, wird der Verlust durch die
Sicherheit aufgewogen, daß hier ein Grabmal-Ensemble von hohem Rang vor weiterer Zerstörung
durch Verwitterung und Steinfraß gerettet ist.

41 Ihre Zuschreibung an den Bildhauer Jeremias Schwartz und seine Nachfolger war erst im Rahmen der systematisch
fortschreitenden Inschriftenforschung möglich; vgl. dazu Seeliger-Zeiss, in: Ein seliges end 1998, 106 — 156.
42 Der ganze Fragenkomplex ist durch Trugenberger erforscht und geklärt worden; vgl. Trugenberger, „Unter das Vor-
zeichen und in der Kirche begraben“. Ebd. 15 f., passim.
43 Der Bau der Kapelle geht auf eine Stiftung eines Pfründners namens Georg Mesch und seiner Ehefrau Margarethe
zurück; OABLeonberg 1930, 651; Trugenberger (wie Anm. 42) 15f., 18.
44 Ebd. 20.
45 Vgl. die Angaben zum Begräbnis des Obervogtes Reinhart von Rüppurr, gestorben 1586, ebd. 26; hier nrr. 211, 240.
46 Ihr Grabmal ist nicht überliefert.
47 Die Gräber auf dem Kirchhof erforderten zusätzlich Grabplatten, die hier in der Grabschrift als „beschlossene Steine“
bezeichnet werden und nicht erhalten sind.
48 Vgl. Trugenberger, in: Ein seliges end 1998, 31-36.
49 Ebd. 36 Anm. 114. Es könnte sich aber auch bei dem Bildhauerwerk um ein Epitaph, bei der Maurerarbeit um eine
Grabplatte gehandelt haben.
50 Ebd. 40.
51 Vgl. dazu Seeliger-Zeiss, A., Zur Neuaufstellung von Leonberger Grabmälern im Innern der Stadtkirche. Ebd.,
9-13.

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