Metadaten

Seeliger-Zeiss, Anneliese; Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Mitarb.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Mitarb.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Mitarb.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Mitarb.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Mitarb.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 47 = Heidelberger Reihe, 13. Band): Die Inschriften des Landkreises Böblingen — Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag, 1999

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.57659#0053
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1

Hildrizhausen, ev. Pfarrkirche (St. Nikomedes)

um 1180

Tympanon, jetzt außen auf der Südseite des Langhauses über einer nicht zugehörigen, schmaleren
Tür eingelassen, jedenfalls nicht in ursprünglicher Verwendung; im 17. und 18. Jahrhundert als Spolie
(?) an einem Karner im Kirchhofbereich1. Bogenfeld mit flachem Segmentbogen, aus einem Stück
gelben Sandsteins gehauen, gerahmt durch eine breite, erhabene Randleiste, die die — heute nur zwei-
teilige - Inschrift trägt. Die erste Zeile A folgt dem Bogen und beginnt links unten mit einem Initial-
Kreuz, füllt aber die bogenförmige Randleiste nicht bis zu deren Ende. Die zweite Zeile B verläuft
auf der Bogensehne von links nach rechts und biegt dann rechts außen nach oben um. Beide In-
schriftteile sind durch ein zweites Kreuz zwischen Punkten voneinander getrennt. Das Innenfeld wird
in der Mitte durch einen verdoppelten Rundstab senkrecht unterteilt. In den sich ergebenden
Zwickelfeldern ist je ein Medaillon eingefügt, gebildet aus einer Rosette aus (links) neun bzw. (rechts)
acht Lanzettblättern in Relief, die von einem Wulstring eingefaßt sind; die linke Rosette ist hervor-
gehoben durch kerbschnittartig „gefüllte“ Blätter. Das Relief ist unregelmäßig in der Formgebung
und in der Ausführung relativ grob. Oberfläche besonders oben links durch Verwitterung angegrif-
fen, Ränder durch Putz verunreinigt.
Textergänzung nach Eisehn.
H. 70, B. 152, Bu. 4,5 — 6 cm. - Romanische Majuskel
A + HIC ■ LAPIS ■ ORNATVS • T[EMP]LVM • NICOMEDISa • HONORAT •
B • ILLVM ■ QVIVISbc ■ HOMO • ROGITET ■ SVOcd • PECTO/REe • P(RO)NO • +
C [QVOD DELICTA SIBI DEMAT PRO NOMINE CHRISTI]
Dieser verzierte Stein ehrt das Gotteshaus des Nikomedes. — Ihn soll ein jeder Mensch mit demütigem Herzen bitten,
daß er ihm die Sünden wegnehme im Namen Christi.
Drei Hexameter
Dem heute vorhandenen Bestand mit den Inschriften A und B fügt die kopiale Überlieferung durch
den Hildrizhauser Pfarrer Bartholomäus Eisehn2 und durch Hess3 noch einen dritten Vers C an, der
offensichtlich in enger Verbindung mit dem Tympanon stand, als dieses noch am „Grufthäuslein“ ein-
gelassen war4. Die späteren Autoren übernehmen ohne Kommentar die drei Verse umfassende Form,
obgleich dies dem jetzigen Befund nicht entspricht und obgleich das Tympanon heute in sich voll-
ständig erscheint und nicht klar ist, wo der dritte Vers ursprünglich angebracht war5. Es gibt jedoch
keinen Grund zu der Vermutung, Eiselin habe die zwei Zeilen willkürlich ergänzt, denn er bezeichnet
die Inschrift ausdrücklich als „drey alte Lateinische vers“. Vielmehr ist anzunehmen, daß diese dritte
Zeile der Inschrift zu Eiselins Zeit tatsächlich vorhanden war6. Sie befand sich vielleicht unterhalb des
Bogenfeldes auf einem separat gearbeiteten Türsturz, der nicht erhalten ist7. Jedenfalls würde die
Anzahl der Buchstaben - vorhandene Kürzungen eingerechnet — auf einem geraden Türsturz Platz
gefunden haben.
Die Pfarrkirche wurde nach 1165 vermutlich anstelle einer Burg der Markgrafen von „Hilderates-
husen“ erbaut und war vom 13. bis zum 15. Jahrhundert mit einem kleinen Chorherrenstift verbun-
den. Damit wird eine Ansetzung der Inschrift im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts wahrscheinlich.
Von diesem Bau ist noch das romanische basilikale Langhaus sichtbar, allerdings in verstümmelter
Form. Das nördliche Seitenschiff entfiel, die Langhaus-Arkaden der Nordseite wurden vermauert.
Dafür erhielt die Kirche im Jahr 1515 einen größeren, netzgewölbten Chorbau8. Das Hauptportal auf
der Südseite des Langhauses, an dem sich die Inschrift vermutlich ehemals befand, ist heute verän-
dert9. — Eine neue These möchte in dem ehemaligen nördlichen Seitenschiff (1627 abgerissen) den
Rest einer frühromanischen „Hofkapelle“ eines Vorgängerbaues sehen und rekonstruiert den — in das
südliche Seitenschiff hineingesetzten — mächtigen Kirchturm wohl zu Recht als den ehemaligen
Bergfried der Anlage. Dies wirft die Frage auf, ob das Tympanon eine Spolie dieses vor 1165 vor-
handenen Bauwerks sei, was auch zu einer früher als bisher angenommenen Ansetzung der Inschrift
führen würde10.
Das Tympanon gehört zu den sog. „schlichten“ Tympana. Deren Ikonographie ist von symbolischen
Darstellungen geprägt, die im Bereich der sog. Volkskunst wurzeln und wegen ihrer Doppeldeutig-
keit schwer zu entschlüsseln und schwer zu datieren sind11. Die Unterteilung des Bildfeldes in der
Mittelachse war für diese Gruppe geläufig12. Die Zweiteilung versinnbildlicht die Zerteilung der Welt
in Gut und Böse, Tag und Nacht, Hell und Dunkel13. Der Schmuck durch zwei Rosetten wird auch
interpretiert als Hinweis auf Sonne und Mond, auf Christus und Maria, wobei die reicher ausgeführte

Abb. 4

3
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften