hof erfuhr 1328 eine Neuweihe. Daraus geht hervor, daß um diese Zeit nicht nur an der Stadtkirche,
sondern auch an St. Quintin Baumaßnahmen und Altarstiftungen vorgenommen wurden. Dies war
dadurch begründet, daß der im Süden der Stadt zwischen Herrenberg und Gültstein gelegene, heute
verschwundene Mühlhausener Friedhof bis 1752 das Begräbnisrecht für die Herrenberger Bürger-
schaft behielt57. Neuerdings ist dieser Friedhof durch die Identifizierung einzelner von dort stam-
mender Grabmal-Fragmente wieder greifbar geworden (nrr. 232a, 295, 307; weitere Stücke im An-
hang Anh8g u. k)58. Eine dritte Herrenberger Kirche, die zu dem um 1400 gegründeten Spital
gehörige Hl. Geist-Kirche, wurde bei den Stadtbränden 1466 und 1635 zerstört und 1656 wieder auf-
gebaut; sie ist hinsichtlich historischer Inschriften ohne Bedeutung.
Für die Verluste an mittelalterlicher Inschriften-Substanz in der ehemaligen Stiftskirche ist vor allem
die Reformation, nämlich die „Entfernung der Bilder“ nach dem am 12. September 1537 anbe-
raumten „Uracher Götzentag“, verantwortlich zu machen59. Als Folge wurden 1537 alle nicht mehr
benötigten Kultgegenstände entfernt; der Hochaltarschrein (nr. 160) und das Chorgestühl (nr. 156)
wurden abgebrochen und im Turmobergeschoß magaziniert6". Vermutlich sind damals auch die üb-
rigen Altäre beseitigt worden61. Der Lettner blieb als willkommene Abschrankung des Chores und
Standort der Orgel (nr. 232) noch bis zu seinem Abbruch 1739 stehen62. Himmelfahrt 1537 hat man
die Chorfenster durch eine einfache Verglasung ersetzt; vermutlich handelte es sich um spätgotische
Farbfenster, die erst 1516/1517 durch den Propst Johannes Rebmann bei einem Tübinger Glasmaler
bestellt worden waren. Nach der Visitation von 1536 oder 1537, die zur Ablieferung der Kirchen-
kleinodien führte, verblieben von den 19 Abendmahlskelchen nur drei zum Gebrauch im lutheri-
schen Gottesdienst63. Das Interim zwang 1548 zur Wiederaufstellung des Chorgestühls (nr. 156); bei
dieser vermutlich unter Zeitdruck ausgeführten Maßnahme wurden die Gestühlsblöcke vertauscht.
Vom Hochaltar wurden nur mehr die von Jörg Ratgeb gemalten Flügel (nr. 160) bis zum Ende des
19. Jahrhunderts als Altarschmuck weiter in der Kirche belassen, weil ihre Bilder der Passion Christi
in Verbindung mit Bibeltexten der lutherischen Theologie nicht widersprachen; der Schrein (nr. 92)
mit einem Marienbild war entbehrlich geworden.
Die zweite, für die Inschriften-Denkmäler bedrohliche Phase war die Zeit des Historismus, die das
puristische Ideal von einem stilistisch einheitlichen neugotischen Kirchenraum anstrebte. Vermutlich
waren es Ende des 19.Jahrhunderts nicht nur Geldmangel, sondern auch der zeitgenössische Kunst-
geschmack, die den Ausverkauf der Ausstattung bewirkten. Die reich mit Inschriften geschmückten
Retabelflügel wanderten zusammen mit anderen Stücken (nrr. 138, 232, 311, 312) nach Stuttgart in
die Königliche Sammlung (heute Württembergisches Landesmuseum). Gegen die Mitte des 18.Jahr-
hunderts sind jedenfalls durch Hess noch zahlreiche Kunstdenkmäler als vorhanden bezeugt, die
heute als verloren gelten müssen oder die ihrer Inschriften beraubt sind.
Für den Herrenberger Inschriftenbestand ist der vollständige Verlust der mittelalterlichen und früh-
neuzeitlichen Grabmäler vor 1560 bezeichnend. So ist für die Pröpste und Kanoniker des Stifts wie
für die Brüder vom Gemeinsamen Leben kein einziges Denkmal bezeugt. Da gerade Herrenberg in
Hess einen gewissenhaften Zeitzeugen besaß, der mittelalterliche Grabmäler mit Sicherheit erwähnt
hätte, wenn er sie gekannt hätte, muß der ganze ältere Bestand schon vor der Mitte des 18.Jahr-
hunderts vernichtet worden sein. Nur das Grabmal eines Pfalzgrafen von Tübingen (nr. 31) als des
Stadtherrn und Bauherrn der Kirche im 14. Jahrhundert wurde so hoch in Ehren gehalten, daß man
57 Die Mühlhausener Kirche wurde erst 1751 abgebrochen. Daß der Mühlhausener Kirchhof auch von der Herren-
berger Ehrbarkeit benutzt wurde, beweisen Angaben bei Hess; dieser wichtigste Herrenberger Chronist des 18. Jahr-
hunderts überliefert „Epitaphia“ im Kirchhof zu Mühlhausen für Angehörige des Jacob Pfefferle (nr. 312), nämlich
für dessen erste Frau Catharina sowie für die Söhne Jacob d. J., Wirt und Gastgeb, gestorben 7. Juni 1606, gestorben
1600, und Hans Heinrich, gestorben 1608; die Inschriften sind nicht wiedergegeben; Hess, Chronik Herrenberg,
Stuttgart, HStA J1 Nr. 256, p. 829; zu Hess vgl. unten S. XXIX. Zu Mühlhausen vgl. auch Janssen (wie Anm. 53) 47.
58 Zu neuen Grabungsergebnissen vgl. Scholkmann (wie Anm. 12) 193 — 195.
59 Vgl. oben Anm. 15.
60 Janssen, R., Die Reformation und ihr Zeitalter. In: Stiftskirche Herrenberg 1993, 79-96; bes. 81 ff.
61 Gottlieb Friedrich Hess bezeugt vor 1761 nur noch den „unteren“ Kreuzaltar mit einem kunstvoll verzierten Gitter
von 1699 sowie den „hohen“ Altar mit den Ratgeb-Tafeln im Chor; vgl. Hess, Chronik, Exemplar der WLB Bd.
2(b) p. 1417. In Zusammenhang mit einer Meß-Stiftung des Herrenberger Dekans Syfrid Vihlin sind 1388 sieben Al-
täre urkundlich bezeugt; am Ende des Mittelalters sollen elf Kanonikate vorhanden gewesen sein; OABHerrenberg
1855, 135.
62 Der Lettner war als Stiftung des Ulrich Metzler 1453 errichtet worden und ist in zwei Etappen 1739 und 1747 be-
seitigt worden; Hess (wie Anm. 61) Bd. 2(b) p. 1414f; OABHerrenberg 1855, 111; Janssen (wie Anm. 60) 84.
63 Vgl. Württembergische Visitationsakten I: (1534) 1536 — 1540. Enthaltend die Ämter Stuttgart, Nürtingen, Tübin-
gen, Herrenberg etc. Bearb. v. Rauscher, J. (Württ. Geschichtsquellen 22). Stuttgart 1932, 228 — 251; bes. 246f. —
Alle drei Kelche sind erhalten; einer davon mit Inschrift; vgl. nr. 121.
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sondern auch an St. Quintin Baumaßnahmen und Altarstiftungen vorgenommen wurden. Dies war
dadurch begründet, daß der im Süden der Stadt zwischen Herrenberg und Gültstein gelegene, heute
verschwundene Mühlhausener Friedhof bis 1752 das Begräbnisrecht für die Herrenberger Bürger-
schaft behielt57. Neuerdings ist dieser Friedhof durch die Identifizierung einzelner von dort stam-
mender Grabmal-Fragmente wieder greifbar geworden (nrr. 232a, 295, 307; weitere Stücke im An-
hang Anh8g u. k)58. Eine dritte Herrenberger Kirche, die zu dem um 1400 gegründeten Spital
gehörige Hl. Geist-Kirche, wurde bei den Stadtbränden 1466 und 1635 zerstört und 1656 wieder auf-
gebaut; sie ist hinsichtlich historischer Inschriften ohne Bedeutung.
Für die Verluste an mittelalterlicher Inschriften-Substanz in der ehemaligen Stiftskirche ist vor allem
die Reformation, nämlich die „Entfernung der Bilder“ nach dem am 12. September 1537 anbe-
raumten „Uracher Götzentag“, verantwortlich zu machen59. Als Folge wurden 1537 alle nicht mehr
benötigten Kultgegenstände entfernt; der Hochaltarschrein (nr. 160) und das Chorgestühl (nr. 156)
wurden abgebrochen und im Turmobergeschoß magaziniert6". Vermutlich sind damals auch die üb-
rigen Altäre beseitigt worden61. Der Lettner blieb als willkommene Abschrankung des Chores und
Standort der Orgel (nr. 232) noch bis zu seinem Abbruch 1739 stehen62. Himmelfahrt 1537 hat man
die Chorfenster durch eine einfache Verglasung ersetzt; vermutlich handelte es sich um spätgotische
Farbfenster, die erst 1516/1517 durch den Propst Johannes Rebmann bei einem Tübinger Glasmaler
bestellt worden waren. Nach der Visitation von 1536 oder 1537, die zur Ablieferung der Kirchen-
kleinodien führte, verblieben von den 19 Abendmahlskelchen nur drei zum Gebrauch im lutheri-
schen Gottesdienst63. Das Interim zwang 1548 zur Wiederaufstellung des Chorgestühls (nr. 156); bei
dieser vermutlich unter Zeitdruck ausgeführten Maßnahme wurden die Gestühlsblöcke vertauscht.
Vom Hochaltar wurden nur mehr die von Jörg Ratgeb gemalten Flügel (nr. 160) bis zum Ende des
19. Jahrhunderts als Altarschmuck weiter in der Kirche belassen, weil ihre Bilder der Passion Christi
in Verbindung mit Bibeltexten der lutherischen Theologie nicht widersprachen; der Schrein (nr. 92)
mit einem Marienbild war entbehrlich geworden.
Die zweite, für die Inschriften-Denkmäler bedrohliche Phase war die Zeit des Historismus, die das
puristische Ideal von einem stilistisch einheitlichen neugotischen Kirchenraum anstrebte. Vermutlich
waren es Ende des 19.Jahrhunderts nicht nur Geldmangel, sondern auch der zeitgenössische Kunst-
geschmack, die den Ausverkauf der Ausstattung bewirkten. Die reich mit Inschriften geschmückten
Retabelflügel wanderten zusammen mit anderen Stücken (nrr. 138, 232, 311, 312) nach Stuttgart in
die Königliche Sammlung (heute Württembergisches Landesmuseum). Gegen die Mitte des 18.Jahr-
hunderts sind jedenfalls durch Hess noch zahlreiche Kunstdenkmäler als vorhanden bezeugt, die
heute als verloren gelten müssen oder die ihrer Inschriften beraubt sind.
Für den Herrenberger Inschriftenbestand ist der vollständige Verlust der mittelalterlichen und früh-
neuzeitlichen Grabmäler vor 1560 bezeichnend. So ist für die Pröpste und Kanoniker des Stifts wie
für die Brüder vom Gemeinsamen Leben kein einziges Denkmal bezeugt. Da gerade Herrenberg in
Hess einen gewissenhaften Zeitzeugen besaß, der mittelalterliche Grabmäler mit Sicherheit erwähnt
hätte, wenn er sie gekannt hätte, muß der ganze ältere Bestand schon vor der Mitte des 18.Jahr-
hunderts vernichtet worden sein. Nur das Grabmal eines Pfalzgrafen von Tübingen (nr. 31) als des
Stadtherrn und Bauherrn der Kirche im 14. Jahrhundert wurde so hoch in Ehren gehalten, daß man
57 Die Mühlhausener Kirche wurde erst 1751 abgebrochen. Daß der Mühlhausener Kirchhof auch von der Herren-
berger Ehrbarkeit benutzt wurde, beweisen Angaben bei Hess; dieser wichtigste Herrenberger Chronist des 18. Jahr-
hunderts überliefert „Epitaphia“ im Kirchhof zu Mühlhausen für Angehörige des Jacob Pfefferle (nr. 312), nämlich
für dessen erste Frau Catharina sowie für die Söhne Jacob d. J., Wirt und Gastgeb, gestorben 7. Juni 1606, gestorben
1600, und Hans Heinrich, gestorben 1608; die Inschriften sind nicht wiedergegeben; Hess, Chronik Herrenberg,
Stuttgart, HStA J1 Nr. 256, p. 829; zu Hess vgl. unten S. XXIX. Zu Mühlhausen vgl. auch Janssen (wie Anm. 53) 47.
58 Zu neuen Grabungsergebnissen vgl. Scholkmann (wie Anm. 12) 193 — 195.
59 Vgl. oben Anm. 15.
60 Janssen, R., Die Reformation und ihr Zeitalter. In: Stiftskirche Herrenberg 1993, 79-96; bes. 81 ff.
61 Gottlieb Friedrich Hess bezeugt vor 1761 nur noch den „unteren“ Kreuzaltar mit einem kunstvoll verzierten Gitter
von 1699 sowie den „hohen“ Altar mit den Ratgeb-Tafeln im Chor; vgl. Hess, Chronik, Exemplar der WLB Bd.
2(b) p. 1417. In Zusammenhang mit einer Meß-Stiftung des Herrenberger Dekans Syfrid Vihlin sind 1388 sieben Al-
täre urkundlich bezeugt; am Ende des Mittelalters sollen elf Kanonikate vorhanden gewesen sein; OABHerrenberg
1855, 135.
62 Der Lettner war als Stiftung des Ulrich Metzler 1453 errichtet worden und ist in zwei Etappen 1739 und 1747 be-
seitigt worden; Hess (wie Anm. 61) Bd. 2(b) p. 1414f; OABHerrenberg 1855, 111; Janssen (wie Anm. 60) 84.
63 Vgl. Württembergische Visitationsakten I: (1534) 1536 — 1540. Enthaltend die Ämter Stuttgart, Nürtingen, Tübin-
gen, Herrenberg etc. Bearb. v. Rauscher, J. (Württ. Geschichtsquellen 22). Stuttgart 1932, 228 — 251; bes. 246f. —
Alle drei Kelche sind erhalten; einer davon mit Inschrift; vgl. nr. 121.
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