faßbar. Graf Adalbert II. von Calw (gest. 1099) gründete hier für sein Haus vor 1059 em Benedik-
tiner-Kloster, das er aber bald darauf nach Hirsau verlegen ließ, wo er mit seiner Gemahlin Wilcha
(gest. 1093) bestattet wurde. Auf Betreiben Hirsaus ist Sindelfingen um 1066 als ein weltliches Chor-
herrenstift neu begründet worden78. Die Vogtei ging von den Grafen von Calw an die Welfen über
und war spätestens 1243 im Besitz der Pfalzgrafen von Tübingen. Über deren Stadtgründungsab-
sichten informiert eine 1263 ausgestellte Urkunde des Pfalzgrafen Rudolf I. genannt Scherer (gest.
1277)79; das Gründungsjahr mag im folgenden Jahrzehnt anzusetzen sein. Die neue Siedlung schloß
sich im Süden an den ummauerten Stiftsbezirk an, dessen Kirche den Stadtbewohnern von da an auch
als Pfarrkirche diente80. Nur wenige Jahrzehnte nach der Gründung markiert der Übergang Sindel-
fingens vor 1326 an die Herren von Rechberg und 1351 an die Grafen von Württemberg den Nie-
dergang der Tübinger. Unter württembergischer Herrschaft stieg das Stift zu einer der reichsten
geistlichen Institutionen des Landes mit umfangreichem Besitz auf81. Die Stiftsherren nahmen als
Kleriker-Juristen einflußreiche politische Positionen ein. Zur finanziellen Ausstattung der 1476/77
gegründeten Landesuniversität Tübingen griff Graf Eberhard im Bart auf die Einkünfte des Sindel-
finger Stifts zurück, das am 10. März 1477 an die Stiftskirche St. Georg in Tübingen verlegt wurde,
wobei Sindelfmger Chorherren den Gründungskanzler und den Gründungsrektor stellten. Zum Aus-
gleich wurde in Sindelfingen ein reguliertes Augustiner-Chorherrenstift der Windesheimer Kongre-
gation geschaffen, wovon eine Gedenkinschrift zeugt (nr. 83). Im Zuge der Reformation 1535/36
wurde das Stift aufgehoben.
Der ehemals ummauerte Stiftsbezirk im Norden der Stadt umfaßte neben der Stifts- und Pfarrkirche
St. Martin mit dem umgebenden Gemeindefriedhof (belegt bis 1812) einen nördlich anschließenden
Kreuzgang, um den sich Konvents- und Wirtschaftsgebäude gruppierten82. Die Stiftskirche St. Martin
gehört zu den bedeutendsten Kirchenbauten der Romanik in Württemberg83. Eine Weihenachricht
von 1083 bezieht sich auf die Vollendung eines ersten Bauabschnitts; im Jahr 1100 wurde die Krypta
vollendet. Der ungemein stattliche Bau wurde ausgeführt als eine dreischiffige Basilika ohne Querhaus
mit Drei-Apsiden-Chor und mit einer Hallen-Krypta von 3 zu 5 Jochen. Die Fertigstellung des Lang-
hauses ist dendrochronologisch für die Zeit nach 1132 fixiert. Der Bau des Glockenturms schloß sich
an84. Nach der Reformation wurde der Innenraum 1576/77 durchgreifend verändert, wobei vermut-
lich die mittelalterliche Ausstattung verlorenging. 1583 sind Bilder der württembergischen Regenten
bezeugt. Im Jahr 1603 ist die Kirche von dem Ulmer Maler Dietrich Bett mit einem umfangreichen
lutherischen Bildprogramm ausgemalt worden, das das Weltgericht, die Kreuzigung, Christus mit dem
Zyklus der Apostel, Moses und Aaron sowie den Stifter Adalbert von Calw umfaßte85. Die 1862 bis
1866 unternommene Restaurierung durch Christian Friedrich Leins (1814 — 1892) in „byzantinischem
Stil“ versuchte, die romanische Gestalt der Kirche wieder sichtbar zu machen, und beseitigte alle
späteren Zutaten, so auch die südliche Vorhalle mit Kapelle im Obergeschoß und die Wandgemälde.
Ergebnis der letzten Erneuerungen von 1933 und 1973/74 sind die Leere des Raums und die Stein-
sichtigkeit der Bauglieder und Wände. Auch hier sind vermutlich die Restaurierungen des 19.Jahr-
hunderts für den Verlust der Inschnften-Denkmäler verantwortlich. Die Gesamtzahl von zwanzig
Stücken konnte nur erreicht werden, weil die verlorenen frühen Grabplatten des 13. und 14. Jahrhun-
derts (nrr. 6, 7, 8, 9, 33, 34, 35) vorsorglich aufgenommen wurden, obgleich ihre wörtliche Text-
überlieferung nicht sicher ist. So steht Sindelfingen hier mit den ältesten Grabplatten des Bearbei-
tungsgebiets zwar an der Spitze der Fundorte, besitzt aber kein einziges Stück aus der Frühzeit; auch
78 Germania Benedictina V, 588 f. (K. Schreiner); AmtlKreisbeschreibung III, 124 — 126; Weisert, Sindelfingen im Wan-
del der Zeit 1988, 19 f.
77 Er soll in Bebenhausen als dem Hauskloster der Tübinger bestattet sein; vgl. Grabdenkmale Bebenhausen 1989,
19 —23 und nr. 3.
Durch eine Grabung 1973 ft. konnte die bis ins 8. Jahrhundert zurückgehende Vorgeschichte des Kloster- bzw. Stifts-
areals erhellt werden; vgl. Scholkmann (wie Anm. 12) 186 ff.
Vgl. Stievermann, D., Landesherrschaft und Klosterwesen im spätmittelalterlichen Württemberg. Sigmaringen 1989,
105ff, passim; Auge, O., Stift und Herrschaft 1996, 35-44, passim.
7~ Von diesen sind noch die sog. Propstei (E. 15. Jh.) mit Bibliothek und ein Chorherrenhof (errichtet 1454) erhalten.
Zur Baugeschichte: Schäfer, Hartmut u. Scholkmann, B., Die ehemalige Stiftskirche St. Martin in Sindelfingen. In:
x Der heilige Martin 1983, 161 — 178; Wischermann, Romanik 1987, 314 f.
Zwei Glocken aus dem Jahr 1284 sollen 1885 zusammen mit Glocken von 1450 und 1796 umgegossen worden sein;
vgl. nrr. 10, 11, 63.
Diese Ausmalung war in der 1. H. 19. Jh. noch erhalten, ebenso eine mit Flügelbildern verzierte Orgel; vgl. Schön-
huth, Burgen, Klöster, Kirchen und Kapellen 1860/61, Bd. 1, 139 — 151; Fleischhauer, Renaissance 1971, 371; Lieske,
Protestantische Frömmigkeit 1973, 79; Weisert, Sindelfingen im Wandel der Zeit 1988, 64.
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tiner-Kloster, das er aber bald darauf nach Hirsau verlegen ließ, wo er mit seiner Gemahlin Wilcha
(gest. 1093) bestattet wurde. Auf Betreiben Hirsaus ist Sindelfingen um 1066 als ein weltliches Chor-
herrenstift neu begründet worden78. Die Vogtei ging von den Grafen von Calw an die Welfen über
und war spätestens 1243 im Besitz der Pfalzgrafen von Tübingen. Über deren Stadtgründungsab-
sichten informiert eine 1263 ausgestellte Urkunde des Pfalzgrafen Rudolf I. genannt Scherer (gest.
1277)79; das Gründungsjahr mag im folgenden Jahrzehnt anzusetzen sein. Die neue Siedlung schloß
sich im Süden an den ummauerten Stiftsbezirk an, dessen Kirche den Stadtbewohnern von da an auch
als Pfarrkirche diente80. Nur wenige Jahrzehnte nach der Gründung markiert der Übergang Sindel-
fingens vor 1326 an die Herren von Rechberg und 1351 an die Grafen von Württemberg den Nie-
dergang der Tübinger. Unter württembergischer Herrschaft stieg das Stift zu einer der reichsten
geistlichen Institutionen des Landes mit umfangreichem Besitz auf81. Die Stiftsherren nahmen als
Kleriker-Juristen einflußreiche politische Positionen ein. Zur finanziellen Ausstattung der 1476/77
gegründeten Landesuniversität Tübingen griff Graf Eberhard im Bart auf die Einkünfte des Sindel-
finger Stifts zurück, das am 10. März 1477 an die Stiftskirche St. Georg in Tübingen verlegt wurde,
wobei Sindelfmger Chorherren den Gründungskanzler und den Gründungsrektor stellten. Zum Aus-
gleich wurde in Sindelfingen ein reguliertes Augustiner-Chorherrenstift der Windesheimer Kongre-
gation geschaffen, wovon eine Gedenkinschrift zeugt (nr. 83). Im Zuge der Reformation 1535/36
wurde das Stift aufgehoben.
Der ehemals ummauerte Stiftsbezirk im Norden der Stadt umfaßte neben der Stifts- und Pfarrkirche
St. Martin mit dem umgebenden Gemeindefriedhof (belegt bis 1812) einen nördlich anschließenden
Kreuzgang, um den sich Konvents- und Wirtschaftsgebäude gruppierten82. Die Stiftskirche St. Martin
gehört zu den bedeutendsten Kirchenbauten der Romanik in Württemberg83. Eine Weihenachricht
von 1083 bezieht sich auf die Vollendung eines ersten Bauabschnitts; im Jahr 1100 wurde die Krypta
vollendet. Der ungemein stattliche Bau wurde ausgeführt als eine dreischiffige Basilika ohne Querhaus
mit Drei-Apsiden-Chor und mit einer Hallen-Krypta von 3 zu 5 Jochen. Die Fertigstellung des Lang-
hauses ist dendrochronologisch für die Zeit nach 1132 fixiert. Der Bau des Glockenturms schloß sich
an84. Nach der Reformation wurde der Innenraum 1576/77 durchgreifend verändert, wobei vermut-
lich die mittelalterliche Ausstattung verlorenging. 1583 sind Bilder der württembergischen Regenten
bezeugt. Im Jahr 1603 ist die Kirche von dem Ulmer Maler Dietrich Bett mit einem umfangreichen
lutherischen Bildprogramm ausgemalt worden, das das Weltgericht, die Kreuzigung, Christus mit dem
Zyklus der Apostel, Moses und Aaron sowie den Stifter Adalbert von Calw umfaßte85. Die 1862 bis
1866 unternommene Restaurierung durch Christian Friedrich Leins (1814 — 1892) in „byzantinischem
Stil“ versuchte, die romanische Gestalt der Kirche wieder sichtbar zu machen, und beseitigte alle
späteren Zutaten, so auch die südliche Vorhalle mit Kapelle im Obergeschoß und die Wandgemälde.
Ergebnis der letzten Erneuerungen von 1933 und 1973/74 sind die Leere des Raums und die Stein-
sichtigkeit der Bauglieder und Wände. Auch hier sind vermutlich die Restaurierungen des 19.Jahr-
hunderts für den Verlust der Inschnften-Denkmäler verantwortlich. Die Gesamtzahl von zwanzig
Stücken konnte nur erreicht werden, weil die verlorenen frühen Grabplatten des 13. und 14. Jahrhun-
derts (nrr. 6, 7, 8, 9, 33, 34, 35) vorsorglich aufgenommen wurden, obgleich ihre wörtliche Text-
überlieferung nicht sicher ist. So steht Sindelfingen hier mit den ältesten Grabplatten des Bearbei-
tungsgebiets zwar an der Spitze der Fundorte, besitzt aber kein einziges Stück aus der Frühzeit; auch
78 Germania Benedictina V, 588 f. (K. Schreiner); AmtlKreisbeschreibung III, 124 — 126; Weisert, Sindelfingen im Wan-
del der Zeit 1988, 19 f.
77 Er soll in Bebenhausen als dem Hauskloster der Tübinger bestattet sein; vgl. Grabdenkmale Bebenhausen 1989,
19 —23 und nr. 3.
Durch eine Grabung 1973 ft. konnte die bis ins 8. Jahrhundert zurückgehende Vorgeschichte des Kloster- bzw. Stifts-
areals erhellt werden; vgl. Scholkmann (wie Anm. 12) 186 ff.
Vgl. Stievermann, D., Landesherrschaft und Klosterwesen im spätmittelalterlichen Württemberg. Sigmaringen 1989,
105ff, passim; Auge, O., Stift und Herrschaft 1996, 35-44, passim.
7~ Von diesen sind noch die sog. Propstei (E. 15. Jh.) mit Bibliothek und ein Chorherrenhof (errichtet 1454) erhalten.
Zur Baugeschichte: Schäfer, Hartmut u. Scholkmann, B., Die ehemalige Stiftskirche St. Martin in Sindelfingen. In:
x Der heilige Martin 1983, 161 — 178; Wischermann, Romanik 1987, 314 f.
Zwei Glocken aus dem Jahr 1284 sollen 1885 zusammen mit Glocken von 1450 und 1796 umgegossen worden sein;
vgl. nrr. 10, 11, 63.
Diese Ausmalung war in der 1. H. 19. Jh. noch erhalten, ebenso eine mit Flügelbildern verzierte Orgel; vgl. Schön-
huth, Burgen, Klöster, Kirchen und Kapellen 1860/61, Bd. 1, 139 — 151; Fleischhauer, Renaissance 1971, 371; Lieske,
Protestantische Frömmigkeit 1973, 79; Weisert, Sindelfingen im Wandel der Zeit 1988, 64.
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