Wappen: Reinhart2, unbekannt3
In der Schlacht bei Döffingen4 wurde der Kampf zwischen den Grafen von Württemberg und den
Reichsstädten um die Vormachtstellung zugunsten der Grafen entschieden. Auf Seiten der Städte
starben angeblich vierhundert Mann; Weil der Stadt hat in dieser Schlacht 66 Bürger verloren5. Unter
diesen war Anshelm Reinhart angeblich als Anführer des Weiler Kontingents. Er entstammte einer
ehrbaren Weiler Familie und war nach Aussage der Grabschrift mit Adelheid Schultheiß verheiratet.
Vermutlich ist das kleine Beiwappen als das ihrige anzusehen und wahrscheinlich ist es falsch ergänzt:
man würde — gleich dem in Weil der Stadt verbreiteten Wappen derer von Kröwelsau — einen zweiten
Stern unterhalb des Balkens erwarten6. Der Zuname Schulthais, ursprünglich Amtsbezeichnung, ist
hier zum Eigennamen geworden.
Die Grabplatte kann nicht unmittelbar nach 1388 entstanden sein, weil die Inschrift in einer Schriftart
ausgeführt wurde, die im 14. Jahrhundert nicht denkbar ist. Denn die sog. Frühhumanistische Kapitalis
ist im Bearbeitungsgebiet im 15. Jahrhundert noch eine Besonderheit und auch in den angrenzenden
Regionen nicht vor 1485 anzutreffen7. Offensichtlich ist die Grabplatte eine mindestens ein Jahrhun-
dert später entstandene Replik eines kurz nach 1388 geschaffenen Werkes, dessen Inschrift ursprüng-
lich in Gotischer Majuskel ausgeführt war. Vielleicht ist die Originalgrabplatte, die ja noch dem
Vorgängerbau der Stadtkirche angehörte, bei den spätgotischen Neubau-Maßnahmen beschädigt oder
zerstört worden8. Dann wäre die Wahl dieser Schrift dadurch zu erklären, daß man versuchte, dem
Eindruck des Originals nahezukommen. Da die Grabschrift von 1388 vermutlich in einer Gotischen
Majuskel ausgeführt war, versuchte man diese zu imitieren, in dem man die Frühhumanistische Kapi-
talis wählte; einzelne Buchstabenformen entlehnte man aus der Gotischen Majuskel. Dies trifft zu für
das oben spitz zulaufende A mit breitem, beidseitig überstehendem Deckbalken und die Rundformen
für D und M (hier in der Jahreszahl). Kennzeichnend für diese Schrift ist das zweibogige offene E, das
hier fast durchgängig verwendet wurde. Ferner fehlen auch die typischen Ausbuchtungen an einzel-
nen Buchstaben-Schäften nicht; sie sind trotz der abgeriebenen Oberfläche bei H und I deutlich zu
erkennen. Insgesamt überwiegen die reinen Kapitalis-Formen, was für eine Ansetzung um 1500 oder
im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts sprechen würde. Die Tatsache, daß die sog. Frühhumanisti-
sche Kapitalis im 15. und frühen 16.Jahrhundert ganz bewußt in den Dienst der Traditionspflege
gestellt wurde, läßt sich häufig nachweisen9. Auch die Gestaltung der Wappen und deren Umrißform
sowie die Formen des Turnierheinis und der Helmdecken erinnern an ältere, für die 1. Hälfte des
15.Jahrhunderts typische Formen; diese könnten hier bewußt nachgeahmt worden sein mit der
Absicht, ein älteres Grabmal zu imitieren.
Schon Crusius berichtet, daß jedes Jahr die Liste der Gefallenen am Gedenksonntag der Schlacht im
Gottesdienst verlesen und zur Fürbitte aufgerufen wurde. In der Tat ist heute neben dem Denkmal
Reinharts ein Schriftstück aufgehängt, das die Namen der Gefallenen von 1388 überliefert. Sie sind in
Fraktur auf einen textilen Stoff geschrieben; die Inschrift ist aufgrund der Schriftform vermutlich dem
19. Jahrhundert zuzuweisen1". Das kollektive Schlachtengedenken diente im Mittelalter der städtischen
Traditionsbildung und hat in öffentlich zugänglichen Räumen in Gestalt von bildlichen Darstellungen,
begleitet von erläuternden Inschriften, Gestalt gefunden11. Als eines der württembergischen Beispiele
sei die Wandmalerei zum Gedenken an eine Schlacht von 1449 in der Oberhofenkirche in Göppingen
angeführt12.
Daß berühmte Entscheidungsschlachten gelegentlich auch im Formular von Grabschriften für ein-
zelne Gefallene erscheinen, ist bisher wenig beachtet worden. Neben der vorliegenden Grabplatte sei
stellvertretend angeführt: der Totenschild und das Votivbild für den ebenfalls bei Döffingen gefallenen
und im Ulmer Münster beigesetzten Heerführer der Städte, Conrad Besserer von Ulm13. Dagegen
nannte die Grabplatte des wohl prominentesten Gefallenen, des Grafen Ulrich von Württemberg,
Sohns Eberhards des Greiners (gest. 1392), in der Stuttgarter Stiftskirche weder Ort noch Todesursa-
che, obgleich seine siegreiche Partei doch Gelegenheit gehabt hätte, sich des Heldentods zu rühmen14.
Daß die Schlacht bei Döffingen auf den Grabplatten der Besiegten Erwähnung fand, ist nur so zu
interpretieren, daß man neben der dauerhaft zu leistenden liturgischen Memoria zugleich der Tapfer-
keit dieser Männer ein Denkmal setzen wollte b.
a Für R ein Zeichen, das an das eckige Minuskel-r erinnert,
b Sic!
c Die erneuerten Teile der Inschrift hier in eckigen Klammern. Wortlaut nach Crusius: Anno D. 1388. an S.Bartho-
lomaei Abendt, ist Anshelm Reinhart in dem streit vor 'Löffingen erschlagen worden. Deß Haußfraw war Adelhait Schulthaissin.
1 Zeitpunkt der Schlacht in vigilia Bartholomaei, d. h. am Tag vor St. Bartholomäus (23. August).
2 Drei Turnierhelme, 2:1 gestellt; Helmzier Flug, belegt mit Schildbild; vgl. Alberti 631.
3 Die jetzige Form wurde wie das Wappen Neuneck ergänzt: Balken, darüber ein sechsstrahliger Stern.
4 Gde. Grafenau, Lkr. Böblingen. — Vgl. HandbHistStätten 6 (Baden-Württemberg), 1965 (2.AufL), 149; Handbuch
der baden-württembergischen Geschichte Bd.2, 42f. (mit weiterführenden Literaturangaben).
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In der Schlacht bei Döffingen4 wurde der Kampf zwischen den Grafen von Württemberg und den
Reichsstädten um die Vormachtstellung zugunsten der Grafen entschieden. Auf Seiten der Städte
starben angeblich vierhundert Mann; Weil der Stadt hat in dieser Schlacht 66 Bürger verloren5. Unter
diesen war Anshelm Reinhart angeblich als Anführer des Weiler Kontingents. Er entstammte einer
ehrbaren Weiler Familie und war nach Aussage der Grabschrift mit Adelheid Schultheiß verheiratet.
Vermutlich ist das kleine Beiwappen als das ihrige anzusehen und wahrscheinlich ist es falsch ergänzt:
man würde — gleich dem in Weil der Stadt verbreiteten Wappen derer von Kröwelsau — einen zweiten
Stern unterhalb des Balkens erwarten6. Der Zuname Schulthais, ursprünglich Amtsbezeichnung, ist
hier zum Eigennamen geworden.
Die Grabplatte kann nicht unmittelbar nach 1388 entstanden sein, weil die Inschrift in einer Schriftart
ausgeführt wurde, die im 14. Jahrhundert nicht denkbar ist. Denn die sog. Frühhumanistische Kapitalis
ist im Bearbeitungsgebiet im 15. Jahrhundert noch eine Besonderheit und auch in den angrenzenden
Regionen nicht vor 1485 anzutreffen7. Offensichtlich ist die Grabplatte eine mindestens ein Jahrhun-
dert später entstandene Replik eines kurz nach 1388 geschaffenen Werkes, dessen Inschrift ursprüng-
lich in Gotischer Majuskel ausgeführt war. Vielleicht ist die Originalgrabplatte, die ja noch dem
Vorgängerbau der Stadtkirche angehörte, bei den spätgotischen Neubau-Maßnahmen beschädigt oder
zerstört worden8. Dann wäre die Wahl dieser Schrift dadurch zu erklären, daß man versuchte, dem
Eindruck des Originals nahezukommen. Da die Grabschrift von 1388 vermutlich in einer Gotischen
Majuskel ausgeführt war, versuchte man diese zu imitieren, in dem man die Frühhumanistische Kapi-
talis wählte; einzelne Buchstabenformen entlehnte man aus der Gotischen Majuskel. Dies trifft zu für
das oben spitz zulaufende A mit breitem, beidseitig überstehendem Deckbalken und die Rundformen
für D und M (hier in der Jahreszahl). Kennzeichnend für diese Schrift ist das zweibogige offene E, das
hier fast durchgängig verwendet wurde. Ferner fehlen auch die typischen Ausbuchtungen an einzel-
nen Buchstaben-Schäften nicht; sie sind trotz der abgeriebenen Oberfläche bei H und I deutlich zu
erkennen. Insgesamt überwiegen die reinen Kapitalis-Formen, was für eine Ansetzung um 1500 oder
im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts sprechen würde. Die Tatsache, daß die sog. Frühhumanisti-
sche Kapitalis im 15. und frühen 16.Jahrhundert ganz bewußt in den Dienst der Traditionspflege
gestellt wurde, läßt sich häufig nachweisen9. Auch die Gestaltung der Wappen und deren Umrißform
sowie die Formen des Turnierheinis und der Helmdecken erinnern an ältere, für die 1. Hälfte des
15.Jahrhunderts typische Formen; diese könnten hier bewußt nachgeahmt worden sein mit der
Absicht, ein älteres Grabmal zu imitieren.
Schon Crusius berichtet, daß jedes Jahr die Liste der Gefallenen am Gedenksonntag der Schlacht im
Gottesdienst verlesen und zur Fürbitte aufgerufen wurde. In der Tat ist heute neben dem Denkmal
Reinharts ein Schriftstück aufgehängt, das die Namen der Gefallenen von 1388 überliefert. Sie sind in
Fraktur auf einen textilen Stoff geschrieben; die Inschrift ist aufgrund der Schriftform vermutlich dem
19. Jahrhundert zuzuweisen1". Das kollektive Schlachtengedenken diente im Mittelalter der städtischen
Traditionsbildung und hat in öffentlich zugänglichen Räumen in Gestalt von bildlichen Darstellungen,
begleitet von erläuternden Inschriften, Gestalt gefunden11. Als eines der württembergischen Beispiele
sei die Wandmalerei zum Gedenken an eine Schlacht von 1449 in der Oberhofenkirche in Göppingen
angeführt12.
Daß berühmte Entscheidungsschlachten gelegentlich auch im Formular von Grabschriften für ein-
zelne Gefallene erscheinen, ist bisher wenig beachtet worden. Neben der vorliegenden Grabplatte sei
stellvertretend angeführt: der Totenschild und das Votivbild für den ebenfalls bei Döffingen gefallenen
und im Ulmer Münster beigesetzten Heerführer der Städte, Conrad Besserer von Ulm13. Dagegen
nannte die Grabplatte des wohl prominentesten Gefallenen, des Grafen Ulrich von Württemberg,
Sohns Eberhards des Greiners (gest. 1392), in der Stuttgarter Stiftskirche weder Ort noch Todesursa-
che, obgleich seine siegreiche Partei doch Gelegenheit gehabt hätte, sich des Heldentods zu rühmen14.
Daß die Schlacht bei Döffingen auf den Grabplatten der Besiegten Erwähnung fand, ist nur so zu
interpretieren, daß man neben der dauerhaft zu leistenden liturgischen Memoria zugleich der Tapfer-
keit dieser Männer ein Denkmal setzen wollte b.
a Für R ein Zeichen, das an das eckige Minuskel-r erinnert,
b Sic!
c Die erneuerten Teile der Inschrift hier in eckigen Klammern. Wortlaut nach Crusius: Anno D. 1388. an S.Bartho-
lomaei Abendt, ist Anshelm Reinhart in dem streit vor 'Löffingen erschlagen worden. Deß Haußfraw war Adelhait Schulthaissin.
1 Zeitpunkt der Schlacht in vigilia Bartholomaei, d. h. am Tag vor St. Bartholomäus (23. August).
2 Drei Turnierhelme, 2:1 gestellt; Helmzier Flug, belegt mit Schildbild; vgl. Alberti 631.
3 Die jetzige Form wurde wie das Wappen Neuneck ergänzt: Balken, darüber ein sechsstrahliger Stern.
4 Gde. Grafenau, Lkr. Böblingen. — Vgl. HandbHistStätten 6 (Baden-Württemberg), 1965 (2.AufL), 149; Handbuch
der baden-württembergischen Geschichte Bd.2, 42f. (mit weiterführenden Literaturangaben).
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