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Seeliger-Zeiss, Anneliese; Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Contr.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Contr.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Contr.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Contr.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Contr.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 47 = Heidelberger Reihe, 13. Band): Die Inschriften des Landkreises Böblingen — Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.57659#0144
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Herrenberg, ev. Stadtkirche (Stiftskirche U. L. Frau)

1517

Chorgestühl mit Reliefschmuck und zugehörigen Inschriften, laut Signatur (hier N14B) mit Datie-
rung em Werk des Schreiners Heinrich Schickhardt in Herrenberg. Die heutige Aufstellung aufbeiden
Seiten des Chores (s. Lageskizze) ist em Ergebnis der Restaurierung von 1890/1891 und entspricht
nicht der ursprünglichen Zusammenstellung der Teile. Roman Janssen hat nachgewiesen, daß das
Gestühl1 aufgrund eines umfassenden ikonographischen Gesamtprogramms gestaltet war, in das auch
die Ikonographie des ehemaligen Hochaltars2 eingebunden gewesen ist. Obgleich er die ursprüngliche
Anordnung überzeugend zu rekonstruieren vermochte, bleibt hier für die Beschreibung der gegen-
wärtige Zustand verbindlich3. Offensichtlich sind nicht nur die beiden Gestühlsblöcke insgesamt, son-
dern auch die zu Gruppen zusammengestellten Pultreliefs nicht mehr in der originalen Position. Die
Beschreibung richtet sich nach dem ikonographischen Programm des Apostelzyklus und damit nach
der Abfolge der einzelnen Sätze des Credo Apostolicum, die den Aposteln beigegeben sind. Der
Zyklus ist typologisch gegliedert, denn jedem Apostel ist paarweise em Prophet beigesellt, dessen
Schriftstelle des Alten Testaments einen typologischen Bezug zu dem zugehörigen Credo-Artikel
besitzt. Der Zyklus umfaßt 25 Dorsalfelder mit Christus, den zwölf Aposteln und zwölf Propheten; er
beginnt jetzt am westlichsten Ende der Epistelseite (Südreihe) mit Christus (Sl) und verläuft nach
Osten, springt dann zum Westende der Evangelienseite (Nordreihe) über und endet mit dem Prophe-
ten Daniel und mit der Meisterinschrift N14B wieder im Osten. Daran schließt sich die Beschreibung
der Pultreliefs in analoger Abfolge, beginnend mit dem westlichsten Pultrelief der Südseite (SP1) mit
der Arche Noahs.
Es handelt sich um ein jeweils einreihiges Gestühl an den beiden Längswänden des Chores. Das
Gestühl umfaßt heute elf Sitze auf der Südseite (Sl - SH), untergliedert im Verhältnis 5:6 durch
eine Zwischenwange, und vierzehn Sitze auf der Nordseite (NI —N14), untergliedert 4:5:5 durch
zwei Zwischenwangen. Das Dekorationssystem der einzelnen Stallen ist dreiteilig: über jedem Sitz
ein rechteckiges glattes Dorsalfeld als Rückenlehne, oben mit feinem Blendmaßwerk gerahmt,
darüber je ein dem Quadrat angenähertes Relief mit einer männlichen Halbfigur mit Spruchband
unter Astwerk-Baldachin. Bei der Darstellung alternieren die zwölf Apostel mit zwölf Propheten;
entsprechend sind die Schriftbänder abwechselnd in Gotischer Minuskel und in Frühhumanisti-
scher Kapitalis ausgeführt. Als Bekrönung Halbtonne mit Netzgewölbe, der eine durchlaufende
Baldachinreihe aus scherenartig verschränkten Kielbogen vorgeblendet ist; die Fialen sind abwech-
selnd aufrecht oder bogenförmig gekrümmt. Seitlich wird jeder Gestühlsblock von schmalen Wan-
gen mit Reliefs und durchbrochenem Maßwerk begrenzt; das Gestühl der Nordseite besitzt nur
eine Wange an der Ostseite; im Westen stößt es an die Triumphbogenwand an (SW1-SW2;
NW2). Die Brüstungsreliefs (SP1-SP10; NP1-NP13) der Pulte sind heute zu Dreier- und Vie-
rergruppen zusammengefaßt, zwischen denen jeweils Lücken für den Zutritt zu den Stallen offen
sind. Die Breite der Reliefs ist nicht einheitlich; jedes Relief wird von einer rundbogigen oder
stichbogigen Nische umfaßt. Die Inschriften sind hier - meist dem Bogen folgend - direkt in den
Nischengrund eingeschnitzt, während sie am Dorsale in breite, zwei- bis dreizeilig beschriftete
Schriftbänder eingehauen sind, deren Enden sich einzurollen scheinen. Die Namensbeischriften
der vier Evangelisten, der vier Kirchenväter, einzelner Kirchenlehrer und ausgewählter weiblicher
Heiliger sowie Beischriften zu Szenen der Heilsgeschichte sind in Frühhumanistischer Kapitalis
ausgeführt. Die aufgeklappten Bücher, die der Mehrzahl dieser Personen als Attribute beigegeben
sind, tragen ebenfalls Inschriften. Diese sind in Gotischer Minuskel, in Frühhumanistischer Kapi-
talis oder in einer der Humanistischen Minuskel ähnlichen Gotico-Humamstica mit vereinzelten
Versalien wiedergegeben. Jeder Pultabschnitt ist seitlich durch ein Wangenrelief (SPW1 —SPW2;
NPW1 — NPW2) abgeschlossen, das von einer vollrunden Halbfigur bekrönt wird. Diese Halb-
figuren verkörpern vermutlich Allegorien der Artes liberales, sind aber auch vereinzelt als Porträts
von Herrenberger Zeitgenossen, darunter auch Angehörigen der Brüder vom Gemeinsamen
Leben, anzusprechen. Diese Halbfiguren haben keine Inschriften; daher werden sie hier nicht auf-
geführt. — Eichenholz, ungefaßt; Reste einer Teilfassung — meist nur Andeutung der Pupillen, was
den Figuren den lebhaften, gerichteten ,,Blick“ verleiht.
H. (gesamt) Dorsale ca. 335, B. Südreihe 805, Nordreihe 1040 cm; H. der Relieftafeln am Dorsale
62, B. 62 cm; H. der Pulte 85, H. der Pultreliefs 79, B. 43 u. 60 cm; Bu. (NIff., Slff.) 4 cm, Bu.
Abb. 59, 60, (Signatur N14B) 4 und 2,5 cm; Bu. (Wange Ost, Gotische Minuskel) 2,4 cm. - Frühhumanistische
61; 62, 63 Kapitalis, Humanistische Minuskel, Gotische Minuskel

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