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Seeliger-Zeiss, Anneliese; Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste [Contr.]; Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin [Contr.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Bayerische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig [Contr.]; Österreichische Akademie der Wissenschaften [Contr.]; Akademie der Wissenschaften in Göttingen [Contr.]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Contr.]
Die deutschen Inschriften: DI (Band 47 = Heidelberger Reihe, 13. Band): Die Inschriften des Landkreises Böblingen — Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.57659#0161
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jenigen der 1519 datierten Innenflügel nicht unerheblich ab. Da die Konzeption aber unverändert
beibehalten wurde und kein präzises Datum für den Abschluß vorhegt, bleibt diese feste Datierung
auch hier für die epigraphische Untersuchung verbindlich.
Im Gefolge des Bildersturms im Jahr 1537 wurde der Altar ebenso wie das Chorgestühl abgebrochen,
zerlegt und im Turmobergeschoß gelagert. Während des Interims im Jahr 1548 mußten die beiden
Prinzipalstücke der Chorausstattung wieder aufgestellt werden. Offensichtlich galt dies nicht für
den gesamten Hochaltar, denn von diesem erhielten nur die vier Doppeltafeln, vereinigt zu einer von
da an nicht mehr wandelbaren Bilderwand, ihren angestammten Platz im Chorhaupt; der Schrein war
offenbar schon damals verloren, also im Zuge des Abbrechens zerstört worden42. Die Situation von
1548 blieb fast unverändert bis zum Verkauf der Altartafeln im Jahr 1891 für 5.000 Reichsmark an die
Königliche Altertümersammlung; 1924 wurden sie an die Württembergische Staatsgalerie über-
wiesen.
Das Besondere am Programm des Retabels ist der typologische Zusammenhang von Text und Bild43.
Die acht Tafeln werden auf ihren Rahmen von Inschriften begleitet, die das im Bilde dargestellte Ge-
schehen des neuen Testaments durch entsprechende Schriftstellen des Alten Testaments interpretieren.
Wenn man Retabel und Chorgestühl als Gesamtkunstwerk zusammenfaßt, so ist dessen Thema der
Heilsplan Gottes in typologischer Darstellung. Dieses umfassende theologische Programm ist von der
Vorstellung geprägt, daß im Alten Testament bereits die Vorankündigung (Präfiguration, Typos) dafür
enthalten ist, was im Wirken Jesu als Wirklichkeit (Antitypos) offenbar wird. Sowohl im Herrenberger
Retabel als auch am Chorgestühl ist diese „Concordantia veteris et novi testamenti“ nicht durch zwei
aufeinander bezogene bildliche Darstellungen offenbar gemacht, wie es z. B. im 13. und 14. Jahrhun-
dert üblich war, sondern der bildlichen Darstellung der Geschehnisse des Neuen Testamentes sind
Texte des Alten Testamentes unterlegt. Deshalb sind die insgesamt 27 Texte des Retabels fast aus-
nahmslos dem Alten Testament entnommen. Die Werktagsseite mit der seltenen Darstellung der Aus-
sendung der Apostel leitet zum Chorgestühl über, wo der Zyklus der Apostel und Propheten als Ver-
künder des Glaubens wiederkehrt. Janssen bezeichnet das Gesamtprogramm treffend als „theologisches
Dokument“ in der besonderen Akzentuierung, die die Theologen der Devotio moderna dem Werk
zugrunde legten.
Die Inschriften werden ausnahmslos in einer Kapitalis mit Zügen der Frühhumanistischen Kapitalis
dargeboten. Die Proportionen der Buchstaben sind schlank, aber die Hasten und Bogenschwellungen
sind deutlich erkennbar, und die Formgebung ist der klassischen Kapitalis weitgehend angeglichen.
Eine Ausnahme macht die häufige Verwendung des zweibogigen E; ferner sind auffallend die Vorliebe
für Buchstabenverbindungen und Kürzungen, hochgestellte und in vorhergehende Buchstaben ein-
gefügte verkleinerte Buchstaben sowie das trapezförmige M mit gespreizten Hasten und hohem Mit-
telteil und das N in retrograder Form. Die Schrift auf den nach 1519 entstandenen Außenflügeln ist
deutlich klassischer in Proportion und Formgebung als auf den Tafeln der Feiertagsseite, was eine spä-
tere Entstehung zu stützen vermag. Jörg Ratgeb erweist sich mit der Formgebung dieser Schrift auch
als bedeutender Schriftkünstler. Dieselbe Formgebung wie in Herrenberg ist bereits auf den Inschrif-
ten seiner Wandgemälde im Frankfurter Karmeliterkloster (heute Historisches Museum der Stadt
Frankfurt a. M.) zu beobachten, die 1517 vollendet wurden44.
Für die Arbeitsweise Ratgebs ist bedeutsam, daß er die Rahmung seiner Altartafeln als Inschriften-
träger benutzte. Die Bemalung der Rahmenleisten mit goldenen und silbernen Inschriftbändern und
Ornamentformen der Frührenaissance ist singulär und vermochte dem Retabel den Charakter eines
kostbaren Schreines zu verleihen. Die künstlerische Herkunft dieses Motivs ist in Italien zu suchen.
Nördlich der Alpen hat vor allem Jan van Eyck die Verwendung des Bildrahmens als Inschriftträger
aufgegriffen45.
Bei dem sechszeiligen Kreuztitulus (Tafel V, Inschrift F) hat Ratgeb die dreisprachige Textform ver-
wendet, wie sie bei Lk 23,38 undjh 19,20 beschrieben ist. Die Verwendung dieses Motivs ist in der
Darstellung der Kreuzigung selten, da nicht nur drei Sprachen, sondern auch drei verschiedene
Schriftarten zum Einsatz kamen46. Die ersten zwei Zeilen der querrechteckigen, mit zwei Einbuch-
tungen versehenen Schrifttafel über dem Haupt des Gekreuzigten bestehen aus Schriftzeichen, die
zwar in der Formgebung hebräischen Zeichen ähneln, aber keinen Sinn ergeben. Auch die Kreuze der
beiden Häscher haben Tabulae ansatae mit Aufschriften in nicht deutbaren Zeichen, die optisch an
hebräische Schrift erinnern. Die folgenden zwei Zeilen sind in griechischer Schrift ausgeführt; die un-
beholfene Formgebung und falsche Worttrennung verrät, daß der Maler wohl nicht über Griechisch-
Kenntnisse verfügte, sondern hier eine Vorlage umgesetzt hat. Die restlichen Zeilen enthalten den aus-
geschriebenen lateinischen Titulus. Man hat im allgemeinen bei Verwendung dieses Titulus auf eine
ausgeprägte humanistische Bildung der Auftraggeber geschlossen. Hier mag sich diese Form des Titu-
lus aus dem Gelehrten-Milieu der Brüder vom Gemeinsamen Leben als Auftraggeber erklären. Jedoch

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