Spätgotisch ist auch der Schriftbefund von Al und A2. Denn hier handelt es sich um eine Kapitalis mit
den schlanken Proportionen und Einzelformen der Frühhumanistischen Kapitalis: diese sind ein spitzes
A mit nach links verlängertem Deckbalken und gebrochenem Mittelbalken, in der Ligatur AR ohne
Mittelbalken; ein unzialesE mit flach ausgebildetem Bogen; ein offenes R mit weitem Abstand der Cauda
von der Haste. Die Schaftenden laufen in Serifen aus. Nicht ganz auszuschließen ist die Möglichkeit, daß
nicht nur die Stiftungsinschrift, sondern der ganze Fuß erst durch Schöberhn angestückt wurde.
Der Schultheiß Schöberlin, nachweisbar seit 1635, stammte aus Tailfingen2. Er heiratete die Witwe des
Christoph Sattler in Oschelbronn. Vermutlich hatte er in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges die-
sen spätgotischen Kelch erworben, um ihn 1650 seiner Heimatkirche zu übergeben. Die Inschrift B
hält den Akt der Stiftung fest3.
a Geschrieben IHS mit Kürzungsstrich.
b Geschrieben XPS mit Kürzungsstrich.
1 Io 19,19.
2 Biographische Daten in: Haug, Chronik 39.
3 Bei den Vasa sacra in Leonberg-Eltingen konnte ein ähnlicher Vorgang beobachtet werden; vgl. nr. 415, 416.
Oschelbronn, Pfarrarchiv, Chronik der Gemeinde Oschelbronn, geführt von Karl Haug bis 1927, 39. — Heimberger, F.,
Notizen und Bemerkungen zur Kirchengeschichte von Oschelbronn 1986, 17 mit Abb.
169 Herrenberg, Stiftsfruchtkasten, Tübinger Str. 30 1525
Gedenkinschrift an eine Bestürmung der Stadt im Bauernkrieg. An der Südostecke des Gebäudes,
das zugleich an zwei Seiten dem Zug der Stadtmauer folgt. Tafel aus graugelbem Sandstein, einge-
lassen in Höhe des 2. Obergeschosses an dem aus Steinquadern gemauerten Eck-Erker. Fünfzeilige
Inschrift, durch Kugeleinschläge beschädigt und verwittert.
H. ca. 70, B. ca. 100, Bu. ca. 8 cm. — Kapitalis Abb. 77
AN DEM 8 TAG MAII IST / HERRENBERG GESTVRMT / WORDEN
VON 30 DVSEN / PVRN 6 STVND (L)ANG / 1525
Der Speicherbau des Fachwerk-Fruchtkastens ist 1683/84 durch Zusammenfassung eines mittelalter-
lichen Steinhauses, eines älteren Zeughauses und einer Kelter errichtet worden. Er nimmt die Süd-
ostecke der Stadtmauer ein, wo der Erker Funktionen für die Verteidigung erfüllte.
Die Inschrift berichtet von 30.000 Bauern, die angeblich die Stadt im Bauernkrieg sechs Stunden lang
bestürmt haben sollen. Der 8. Mai 1525 lag als Datum nur wenige Tage vor der Entscheidungsschlacht
bei Böblingen, in der das Bundesheer unter dem Feldherrn Georg Truchseß von Waldburg am 12. Mai
1525 das Heer der aufständischen Bauern niederschlug1. Damit erweist sich der Text der Inschrift einer
Gattung zugehörig, die der Erinnerung an Kriegsereignisse, Schlachten und Belagerungen gewidmet
ist und für die Bürgerschaft relevant war, weil sie die „städtische Identität als bedrohte und verteidigte
Identität präsentiert“2. Vergleichbar ist die Gedenkinschrift von 1529 auf Schloß Horneck (Gundels-
heim, Lkr. Heilbronn), die die von den Bauern 1525 verbrannten Schlösser des Deutschen Ordens auf-
zählt3. Zahlreiche retrograd gestellte Buchstaben bei N und S verleihen der Inschrift einen manie-
rierten Charakter.
1 Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, Bd.2, 1995, 78f. (mit weiterführender Literatur).
2 Zitat aus: Graf, Klaus, Schlachtengedenken in der Stadt. In: Stadt und Krieg. Hg. Kirchgässner, B., u. Scholz, G.
Sigmaringen 1989, 83 — 100; hier 91.
3 KdmNeckarkreis 1889, 441 f. (Wortlaut unvollständig); Photo Heidelberger Epigraphik-Archiv. - Vergleichbar ist
ferner eine verlorene Inschrift in DI 41 (Göppingen) nr. 360.
Schmolz, T., Herrenberg. Chronik einer Stadt von den Anfängen bis zum Jahr 1975 (Herrenberger Historische Schrif-
ten 1). Herrenberg 1975, 89 mit Abb.
170 Böblingen, Stadtmuseum Zehntscheuer 1526
Brunnenstock mit Figur des hl. Christophorus und Herstellungsdatum, vom Marktbrunnen auf dem
Oberen Marktplatz stammend; Original seit 1988 im Stadtmuseum in der Zehntscheuer aufgestellt,
in situ eine Kopie1. Die Brunnensäule aus rotem Sandstein bestand aus einem mehrfach erneuerten
Unterteil mit vier Brunnenröhren und einem achteckigen, eingezogenen Oberteil, an dessen Flächen
119
den schlanken Proportionen und Einzelformen der Frühhumanistischen Kapitalis: diese sind ein spitzes
A mit nach links verlängertem Deckbalken und gebrochenem Mittelbalken, in der Ligatur AR ohne
Mittelbalken; ein unzialesE mit flach ausgebildetem Bogen; ein offenes R mit weitem Abstand der Cauda
von der Haste. Die Schaftenden laufen in Serifen aus. Nicht ganz auszuschließen ist die Möglichkeit, daß
nicht nur die Stiftungsinschrift, sondern der ganze Fuß erst durch Schöberhn angestückt wurde.
Der Schultheiß Schöberlin, nachweisbar seit 1635, stammte aus Tailfingen2. Er heiratete die Witwe des
Christoph Sattler in Oschelbronn. Vermutlich hatte er in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges die-
sen spätgotischen Kelch erworben, um ihn 1650 seiner Heimatkirche zu übergeben. Die Inschrift B
hält den Akt der Stiftung fest3.
a Geschrieben IHS mit Kürzungsstrich.
b Geschrieben XPS mit Kürzungsstrich.
1 Io 19,19.
2 Biographische Daten in: Haug, Chronik 39.
3 Bei den Vasa sacra in Leonberg-Eltingen konnte ein ähnlicher Vorgang beobachtet werden; vgl. nr. 415, 416.
Oschelbronn, Pfarrarchiv, Chronik der Gemeinde Oschelbronn, geführt von Karl Haug bis 1927, 39. — Heimberger, F.,
Notizen und Bemerkungen zur Kirchengeschichte von Oschelbronn 1986, 17 mit Abb.
169 Herrenberg, Stiftsfruchtkasten, Tübinger Str. 30 1525
Gedenkinschrift an eine Bestürmung der Stadt im Bauernkrieg. An der Südostecke des Gebäudes,
das zugleich an zwei Seiten dem Zug der Stadtmauer folgt. Tafel aus graugelbem Sandstein, einge-
lassen in Höhe des 2. Obergeschosses an dem aus Steinquadern gemauerten Eck-Erker. Fünfzeilige
Inschrift, durch Kugeleinschläge beschädigt und verwittert.
H. ca. 70, B. ca. 100, Bu. ca. 8 cm. — Kapitalis Abb. 77
AN DEM 8 TAG MAII IST / HERRENBERG GESTVRMT / WORDEN
VON 30 DVSEN / PVRN 6 STVND (L)ANG / 1525
Der Speicherbau des Fachwerk-Fruchtkastens ist 1683/84 durch Zusammenfassung eines mittelalter-
lichen Steinhauses, eines älteren Zeughauses und einer Kelter errichtet worden. Er nimmt die Süd-
ostecke der Stadtmauer ein, wo der Erker Funktionen für die Verteidigung erfüllte.
Die Inschrift berichtet von 30.000 Bauern, die angeblich die Stadt im Bauernkrieg sechs Stunden lang
bestürmt haben sollen. Der 8. Mai 1525 lag als Datum nur wenige Tage vor der Entscheidungsschlacht
bei Böblingen, in der das Bundesheer unter dem Feldherrn Georg Truchseß von Waldburg am 12. Mai
1525 das Heer der aufständischen Bauern niederschlug1. Damit erweist sich der Text der Inschrift einer
Gattung zugehörig, die der Erinnerung an Kriegsereignisse, Schlachten und Belagerungen gewidmet
ist und für die Bürgerschaft relevant war, weil sie die „städtische Identität als bedrohte und verteidigte
Identität präsentiert“2. Vergleichbar ist die Gedenkinschrift von 1529 auf Schloß Horneck (Gundels-
heim, Lkr. Heilbronn), die die von den Bauern 1525 verbrannten Schlösser des Deutschen Ordens auf-
zählt3. Zahlreiche retrograd gestellte Buchstaben bei N und S verleihen der Inschrift einen manie-
rierten Charakter.
1 Handbuch der baden-württembergischen Geschichte, Bd.2, 1995, 78f. (mit weiterführender Literatur).
2 Zitat aus: Graf, Klaus, Schlachtengedenken in der Stadt. In: Stadt und Krieg. Hg. Kirchgässner, B., u. Scholz, G.
Sigmaringen 1989, 83 — 100; hier 91.
3 KdmNeckarkreis 1889, 441 f. (Wortlaut unvollständig); Photo Heidelberger Epigraphik-Archiv. - Vergleichbar ist
ferner eine verlorene Inschrift in DI 41 (Göppingen) nr. 360.
Schmolz, T., Herrenberg. Chronik einer Stadt von den Anfängen bis zum Jahr 1975 (Herrenberger Historische Schrif-
ten 1). Herrenberg 1975, 89 mit Abb.
170 Böblingen, Stadtmuseum Zehntscheuer 1526
Brunnenstock mit Figur des hl. Christophorus und Herstellungsdatum, vom Marktbrunnen auf dem
Oberen Marktplatz stammend; Original seit 1988 im Stadtmuseum in der Zehntscheuer aufgestellt,
in situ eine Kopie1. Die Brunnensäule aus rotem Sandstein bestand aus einem mehrfach erneuerten
Unterteil mit vier Brunnenröhren und einem achteckigen, eingezogenen Oberteil, an dessen Flächen
119