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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (1. Band = 1. Abtheilung, 1. Hälfte): Die Ordnungen Luthers, die Ernestinischen und Albertinischen Gebiete — Leipzig: O.R. Reisland, 1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.26586#0192
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164

Die Kirchenordnungen. Ernestinisches Sachsen.

werk, gottes forcht, beten, nicht gott lestern,
die eltern ehren, die kinder ziehen, die öbrikeit
ehren, nicht neid, nicht hass tragen, niemand be-
schedigen oder todschlagen, keuscheit, in der ehe
züchtiglich leben, nicht geizig sein, nicht stelen,
nicht vol saufen, nicht liegen, niemand schmehen.
Denn solche stücke sind mehr von nöten, denn
am freitag fleisch essen und der gleichen, wiewohl
dasselb für gott und im gewissen recht ist.
Doch sollen die leute dennoch unterrichtet
werden, bescheidenlich von solchen kirchenordnung
zu reden, denn etliche kirchenordnung sind ge-
macht umb guter ordnung und fridens willen,
wie S. Paulus spricht in der 1. zun Corinthern
am 14.: Es sol alles ordentlich in der kirchen
geschehen.
Darumb sollen die feiertag, als sontag und
etliche mehr, wie jeder pfarr gewonheit ist, ge-
halten werden. Denn es müssen die leute etliche
gewisse zeit haben, daran sie zusammen komen,
Gottes wort zu hören.
Es sollen sich auch die pfarher nicht zanken,
ob einer ein feiertag hielte, und der ander
nicht, sondern es halte ein jeder seine gewonheit
fridlich1), doch das sie nicht alle feier2) ab-
thun. Were auch gut, das sie eintrechtiglich
feierten, die sontage, annunciationis, purificationis,
visitationis der reinen jungfrauen Maria, S. Johannis
des teufers, Michaelis, der aposteln, Magdalene,
die selben feste weren denn bereit3) abgangen,
und künten nicht bequemlich alle wider auf-
gericht werden. Und in sonderheit sol man halten
den christag, beschneidung, epiphanie, die oster-
feier, auffart, pfingsten, doch abgethan, was un-
christlich legenden oder gesang darinnen gefunden
werden. Welche feste also geordnet sind, denn
man kann “nicht alle stücke des evangelii einmals
leren. Darümb man solche lere ins jar geteilet
hat. Wie man in einer schule ordnet, auf einen
tag Virgilium, auf den andern Homerum zu lesen.
Man sol auch in der wochen für ostern die ge-
wonlichen ferien halten, daran man den passion
predigt, und ist nicht von nöten, das man solche
alte gewonheit und ordnung endere, wiewol auch
nicht nötig, das leiden Christi eben die zeit zu
treiben.
Doch sollen die leute unterricht werden,
das solche ferien allein darümb gehalten werden,
das man daran gottes wort lerne. Und ob einem
handerbeit fürfiel, mag er die selbige thun. Denn
gott foddert solche kirchenordnung von uns nicht

1) 1538 statt [friedlich, doch das]: friedlich,
bis es ordentlich geendert oder vergleichet werde.
Doch das.
2) 1538 statt [feier]: feiertage.
3) 1538 statt [weren .. bereit]: weren denn
etliche bereit.

anders, denn umb lerens willens, als Paulus zun
Colossern sagt am andern, so last nu niemand euch
gewissen machen, uber speise, oder uber trank, -
oder uber eins teils tagen, als den feiertagen.
Uber solche satzung, die gemacht sind, umb
guter ordenung willen, sind andere, die gemacht sind
der meinung, das sie sonderlicher gottes dienst sein
sollen, dadurch gott versünet, und gnade erlanget
werde, als gesetzte fasten, freitags nicht fleisch
essen. Nu leret Christus Matth, am 15. das solche
ordenung nicht nütze sind, gotte zu versünen, denn
er spricht: Sie dienen mir vergeblich, weil sie
solche lere leren, die nichts denn menschen lere
sind. So leret auch S. Paulus 1. Timoth. 4., wo
man der meinung ordenung mache, das es teufels
lere sind.
Auch spricht S. Paulus zun Colossern am 2.:
Es sol euch niemand richten umb solcher ordenung
willen,, das ist, man sol nicht solche satzung
machen, und nicht leren, das sunde sei, solche
satzung brechen. Man sol auch nicht leren, das
gottes dienst sei, solche satzung halten.
Es habens auch die apostel gebrochen, Matth,
am 15. 4). Doch sol man den leuten anzeigen,
das man solche ordenung nicht breche bei den
leuten2), die noch nicht unterricht sind, das sie
nicht geergert werden. Denn man sol nicht gleu-
ben3) zu nachteil der liebe, sondern die liebe zu
mehren gebrauchen4). Denn S. Paulus spricht in
der 1. zun Corinth. am 13.: Wenn ich glauben
hette, das ich die berge von einander heben
möchte, und hette nicht liebe, so were ich nichts.
Hie sollen auch die leute unterricht werden,
welche unterscheid sei unter kirchenordnung und
weltlicher öbrikeit gesetz. Denn alle weltliche
öbrikeit sollen gehalten werden, darumb, das
weltliche öbrikeit nicht einen neuen gottes dienst
ordnet, sondern machet ordnung zu friede und
liebe 5). Darumb man sie alle halten sol, es were
denn, wo sie geböten zu thun wider die gebot
gottes. Als wenn die öbrikeit geböte, das evan-
gelion oder etliche stücke zu lassen. In diesen
fellen sol man halten die regel, act. am 5.: Man
sol gott mehr gehorsam sein, denn den menschen.
Seelmessen und andere kaufmessen sollen!
fürder nicht gehalten werden. Denn solten die
seelmessen, vigilien, und der gleichen gelten, so*
künd man die sunde durch werk ablegen. Nu ist
je Christus allein das lamb gottes, wie S. Johannes
der teufer spricht, Johannis am 1., das der welt

1) 1538 statt [Matth, am 15.]: Matth, am 12.
2) 1538 statt [bei .. leuten]: bei den schwachen
leuten.
3) 1538 statt [gleuben]: thun.
4) 1538 statt [zu .. gebrauchen]: zu mehren,
alles gebrauchen.
5) 1538 statt [liebe]: zucht.
 
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