Metadaten

Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (1. Band = 1. Abtheilung, 1. Hälfte): Die Ordnungen Luthers, die Ernestinischen und Albertinischen Gebiete — Leipzig: O.R. Reisland, 1902

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26586#0659
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
123. b) Oschatz. Abschied der Visitation 1555.

631

sonderlich ihren weibern und kindern wenig freund-
schaft oder einigkeit erhalten, und sich oftmals
beschwerlicher widerwille zutragen möchte, so soll
ein ehrbarer rath denselben, also pfarrherrn,
diaconus, schulmeister, organisten und baccalaureus,
jedem deren häuser so ohne dies zur geistlichkeit
gehörig und jetzt vorhanden, eins einzuräumen
und nach eines jeden gelegenheit, seiner nothdurft
nach zu bewohnen und in ziemlich baulichem
wesen zu erhalten, ordnen und verschaffen lassen.
VI.
Und weil die jugend ohnedies zur leicht-
fertigkeit und zu allem argen und bösen geneigt,
so sie mit höchstem fleiss davon abzuhalten und
dagegen zu christlicher zucht und gottesfurcht
gereizt und von ihren präceptoren freundlich unter-
wiesen oder im fall mit ziemlicher und gebühr-
licher strafe, ausserhalb einiger tyrannei oder
anderen unziemlichen- ernstes, so sich etwa durch
die knaben selbst, ihre eltern oder verwandte,
ursachen möchte, — hiervon gezwungen und ge-
wehrt werden.
VII.
Hierzu das vornehmlich dienen würde, dass
sie erstlich durch ihre eltern und herren, alsdann
auch vom schulmeister nach bestimmten stunden
und gewisser form und masse zur schule, kirche
und gottes wort gehalten würden, dadurch sie im
zaum gehalten und das vagiren hin und wieder
auf der gasse, spielen und andere unziemliche
leichtfertigkeit unterlassen und verhindert.
VIII.
Auf dass aber solches desto eher und mehr
geschehe, so sollen hinfort die knaben alle morgen,
sommer und winter, früh um 6 uhr zur schule
gehen und bis um 9 uhr darin verharren, nach-
mittags aber um 12 uhr und bis um 3 uhr darin
bleiben, aber auf die tage, wenn man predigt,
soll der cantor neben den andern ministris mit
den knaben zur kirche gehen und eine halbe
stunde vor der predigt, deutsche geistliche psalmen
oder andere christliche gesänge singen, und als-
dann wiederum zur schule gehen und allda ihre
lection bis zu bestimmter zeit abwarten, und sollen
die schuldiener, beide, cantor und baccalaureus
fleissig darauf sehen, dass die knaben in feiner
stiller ordnung züchtig in und aus der kirche
gehen, sich auch in der kirche mit singen und
beten fleissig und andächtig verhalten; das sie
auch selbst nicht unterlassen sollen, und also der
jugend, so ihnen zu lehren und regiren befohlen,
mit gutem exempel, dadurch sie zur besserung-
gereizt, fleissig vorgehen. Wenn auch der pfarrer
und superintendent selbst predigt, sollen sie in
der kirche bleiben und die predigt auswarten und
alsdann nach gethaner predigt etwa mit einem

deutschen psalmen oder anderen christlichen ge-
sange und dem segen beschliessen. Damit auch
solches ohne frucht nicht abgehe, sollen die knaben
zu fleissiger aufmerkung und annotation der
spüche auf gottes wort vermahnt und gehalten,
und was sie aus der predigt gelernt, jederzeit mit
fleiss befragt werden.
IX.
Als auch hin und wieder in schulen bei deren
dienern und schulmeistern und anderen etwa
grosser unfleiss vermerkt, dadurch die arme jugend
und schüler, so ihnen in kunst und guten sitten
zu unterweisen vertraut und befohlen, merklich
versäumt und sie deswegen ihre geordnete be-
soldung mit sünden und bösem gewissen empfangen,
so soll der schulmeister aller seiner schüler ge-
schicklichkeit fleissig erlernen und erkunden und
sie nach demselben in sonderliche klassen unter-
scheiden, auch die lectionen zu besonderen stunden
darauf verordnen, sonderlich soll aber er gram-
matik, als den grund aller anderen freien kunst,
neben dem Terentio und epistolis Ciceronis fami-
liaribus mit den knaben fleissig und täglich han-
deln, und fleiss haben, dass sich die knaben in
conscribendis epistolis und anderen nützlichen
exercitien, dazu er ihnen wohl sonderliche argu-
menta stellen und vorschreiben wird, untereinander
fleissig und unnachlässig brauchen und üben.
X.
Und soll der schädliche unartige böse ge-
brauch des Spieltags, so den knaben hiebevor
wöchentlich gegeben und nachgelassen, um vieler-
lei ursachen und sonderlich um versäumung der
lectionen und studien, auch der unwiederbring-
lichen guten zeit willen, hinfür nicht gestattet;
vielmehr erst über 14 tagen der halbe tag, nach-
mittags, zu einem spiel- oder badetag nachgelassen
und gegeben werden.
XI.
Auf dies alles soll der herr superintendent
nicht allein mit fleiss sehen und aufmerken, son-
dern auch daran sein und anhalten, dass alle
quartale und also 4 mal im jahre, oder je zum
wenigsten 2 mal, in seiner und des regirenden
bürgermeisters, neben etlichen anderen raths-per-
sonen beisein ein fleissiges examen in der schule,
der lectionen, so ihnen vorgelesen und sie gehort,
gehalten und wessen sie sich hieraus gebessert
und zugenommen, gesehen und erfahren werde.
XII.
Damit auch der schulmeister einige beschwe-
rungen auf die knaben zuzulegen nicht geursacht
oder gedrungen werde, so soll ein ehrbarer rath
die schule in winters zeit mit holz und licht noth-
dürftig versehen lassen.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften