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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (10. Band = Hessen, 3): Die Grafschaften Nassau, Hanau-Münzenberg und Ysenburg — Tübingen: Mohr Siebeck, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.30290#0319
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32. Kirchenordnung 1574/1576

hen ein grosse schande und unehre vor Gott und
allen lieben Christgleubigen sey, welche Gott auch
mit zeitlichen und ewigen straffen heimzusuchen
pflegt, die sünde aber bekennen, darvon abstehen,
sich zu Gott bekehren, mit ihm und seiner Gemeine
sich vereinigen, sey nicht allein kein schande, sonder
auch die gröste Ehr, so einem menschen vor Gott,
allen Christgleubigen menschen und allen Engeln im
Himmel widerfahren möge, dadurch der mensch
Gottes gnade, zeitliche und ewige wolfahrt erlange,
darüber auch Gott unnd alle heilige menschen und
Engel im Himmel ein unaußprechliche freude unnd
fro- |o2r| lockens haben, wie dann der Herr selbst
sagt: Es werde im Himmel vor den heiligen Engeln
Gottes ein grösser freude sein uber einen Sünder, der
da busse thut, dann uber neunundneuntzig Gerech-
ten, so der buß nicht bedürffen272.
Dergleichen sol das Volck bey solcher Action mit
fleiß erinnert und ermanet werden, das ein jeder sein
eigene angeborne und anhangende schwachheit, auß
welcher er leichtlich sündigen und vieleicht einen
schwerern fahl dann dieser begehen kan, wann Gott
seine Handt von im abethut und seine gnade im ent-
zeucht, wie das die Exempel vieler grosser heyligen
Leute bezeugen, betrachten und derhalben den ge-
fallenen büssenden Bruder oder Schwester nit ver-
achten noch im seinen fall schmehlichen auffru-
cken273 unnd fürwerffen wolten, sondern ein Christ-
lichs mitleiden mit im haben, Gott vor in bitten,
daß seine buß unnd bekehrung warhafftig sey und
sich selbßt desto fleissiger hüte und fürsehe, daß er
nicht auch in gleiche oder grössere Sünde gerahte,
wie der heylige Apostel Paulus hiervon eine schöne

a-a Agende 1618: zun Galathern am sechsten Capitel.
b Fehlt KO 1576, KO/Agende 1609, ergänzt aus Agende
1618.
c Agende 1618: Erinnerung.

Lehr gibt, aGal. am 6.a [1-2]: Lieben Brüder, so ein
Mensch von einem Fehlerb ubereylet wirt, so under-
weiset in mit sanfftmütigem Geist, die ir Geistlich
seyt; und sihe auff dich selbßt, daß du nit auch ver-
sucht werdest. Einer trage deß andern Last, so wer-
det ir das Gesetz Christi erfüllen, daß auch ein jeder
hinder sich dencke274, sein Hertz und Gewissen, sein
wort und werck examinier und fleissig erwege, ob er
etwa auch selbßt schuldig sey unnd in heimlichen
oder offenba-I o2v | ren sünden steckt und, da er sich
mangelhafftig befindet, bey zeiten, dieweil im Gott
noch gelegenheit darzu gibt, sich bekehre unnd
im275 durchs Predigampt ordentlicher und von Gott
selbst gezeigter weise helffen lasse, in betrachtung,
daß auff die sünde auß Gottes unwandelbarem wil-
len gewißlich die zeitliche und ewige straffe erfolgen
muß uber alle, so sich nicht bekehren unnd buß
thun. Welche sich aber mit gleubigem, bußfertigem
hertzen zu Gott bekehren, denen wirt die ewige
straffe erlassen, die zeitliche aber, ob sie gleich nicht
allweg aussenbleibt oder auffgehaben und abge-
schafft wirdt, pfleget sie inen Gott doch zum wenig-
sten zu miltern unnd seine gnad und Geist zu geben,
daß sie die desto besser tragen und alle anfechtung
deß bösen Feinds außstehen unnd uberwinden
kündten, wie solchs die exempel Davidis, Ma-
nasse276 unnd anderer bezeugen. Diese Christliche
erinnerungenc und vermanungen seind bey jetzt ge-
dachter action nothwendig, dann sie geben dem vor-
gestelten betrübten sünder sterck unnd trost, steu-
ren den lesterungen der ungeistlichen und geben
gute underweisung unnd warnung den einfeltigen,
guthertzigen Christen. | o3r |

272 Lk 15,7.
273 Vorhalten, Grimm, DWb 1, Sp. 713.
274 In sich gehe.
275 Sich.
276 2Sam 12,1-25; 2Chr 33,12-13.

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