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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (10. Band = Hessen, 3): Die Grafschaften Nassau, Hanau-Münzenberg und Ysenburg — Tübingen: Mohr Siebeck, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.30290#0345
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34. Erläuterungspunkte zur Kirchenordnung 1609

nimpt, das dem grosen hauffen uhnmoglich, alles in
gedechtnus zubehalten, und solch genaw erzehlen
sonderlich die alten schew, forchtsam und blöd
macht, zu geschweigen, das sie darbey mehr umb die
wort dan umb den rechten verstandt bekummert zu
sein und ohn einiges nachsinnen, was der rechte kern
und die meinung seye, wie die nonnen den psalter
einen nach dem andern zu erzehlen pflegen. Dero-
wegen sollen die kirchendiener zufrieden sein, wan
das alte volk, sonderlich uf den dorfen, die heupt-
stuck christlicher lehr bloß erzehlen und uß obge-
dachten fragstucken von ihrem christenthumb so
fere arme, einfeltige rede und antwort geben, das
man darauß abzunehmen, sie haben den grund des
christlichen glaubens geleget undt begrieffen. Kan
dan under solchen leuten jemand weider gebracht
werden und von tag zu tag je lenger, je mehr erba-
wet und der auslegung Lutheri sampt anderes satten
berichts fehig werden, so ist und stehet es umb so
viel desto besser. Allein sollen die pfarher hierinnen
discret handeln und dahin sehen, das zuerst die ein-
faltige leyen das allernotwendigst uf kurtzest und
einfaltigst begreiffen mogen. Darbey den auch die-
ses zuerindern, obwol bißweylen von noten, das die
pfarher etwa nach gestalt der sachen und person ein
ernst gebrauchen und spuren lassen, so findet man
doch under den kirchendienern solche, die hierinnen
die notwendige bescheidenheit und maß nicht zu
halten wissen, sondern machen die einfaltigen und
kinder offtmalß durch ihr uhnfreundlich zuspre-
chen, rawen worden, schnarhen und boltern schew
und forchtsam, da im gegentheil die erfahrung gibt,
das andere mitt freundlichen worden, sanfftmut und
gelinder underweisung weit mehr erbawen undt nut-
zen schaffen. |150r |
Damitt aber niemand under jung und alten leu-
ten, die solches notwendigen berichts von der christ-
lichen religion und glauben in mangel stehen, sich
sowohl von den christlichen versamlungen bey den
predigten, alß auch in sonderheit des catechistischen
einfaltigen underrichts entzihen, so wollen und be-

16 Kirchenordnung von 1576 in der letzten Fassung von
1609, siehe oben, S. 213.

vehlen wier, das unser kirchendiener wie auch die
beampten, jeder ahn seinem ort, nach usweisung sei-
ner amptspfligten, in diesem puncten sonderlich
(wie nicht weniger auch in andern) unser kirchen-
ordnung straks nachgehen, solche trewestes fleises
in acht nehmen und nicht geschehen lassen oder in
einigen weg gestatten sollen, das dergleichen perso-
nen, sie seyen gleich jung oder alt, zur christlichen
tauff zu gefattern stehen oder zur einsegnung christ-
licher ehe oder andern ehrenstenden gelangen oder
entlichen nach christlicher gewonheit mitt den ge-
breuchlichen ceremonien zur erden bestattet, viel
weniger aber zum gebrauch des h. abentmalß zuge-
lassen werden, so lang und viel sie in solcher uhn-
verantwortlicher uhnwissenheit und groben uhnver-
stand stecken bleiben, welches wier den pfarhern
hiermitt (weyl bishero ein sonderliche uhnachtsam-
keit hierinnen bey vielen gespüret worden) nechst
den gottlichen straffen und ernstem gericht, so sie
ihnen mitt solcher farlesiger seelsorge uber den halß
zihen, bey verlust ihrer empter und diensten und
unser ungnadt hiermitt einmahl fur alles ernstlichen
eingebunden und unserer kirchenordnung diesfalß
nicht wie bisher also liederlich und geringschetzig
geachtet, sondern den proceß in allem wollen gehal-
ten haben, wie solches in obgetachter rubric, „Das
die underthanen fleisig in die kirchen gehen
etc.“16, item in mehr allegirter rubric „Von catechis-
mo und kinderlehr“17 wohlbedechtlich gesetzet und
ordiniret, darinnen dan auch die kirchensenioren ih-
rer pfligt und was sie darbey zuthun schuldig, auch
die beampten ihres ampts mitt ebenmesigem ernst
bey vermeidung uhngenediger straffen erindert wer-
den. Wann ihnen solche unartige leut, bey welchen
kein furgehende freund- oder ernstliche vermahnung
und underricht oder andere von den predigern ge-
brauchte mittel nicht verfangen wollen, ahngezeiget
werden, waß sie gegen solche vorzunehmen, ohne
not solche heilsame verordnung, so ohnedas obge-
dachten personen bekant sein soll, hieher von word
zu wort zu [wied]erholen, nuhr allein, das die in

17 Kirchenordnung von 1576 in der letzten Fassung von
1609, siehe oben, S. 234.

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