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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (14. Band): Kurpfalz — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1969

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https://doi.org/10.11588/diglit.30629#0075
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stimmungen über die Schulen, das in eine Art von Predigerseminar umgewandelte und aus dem Uni-
versitätsverband nahezu ausgegliederte Sapienzkolleg und dessen regelmäßige Visitation und über das
Almosenwesen. Einen bemerkenswerten Befund bietet der zweite Teil der Kirchenratsordnung über die
Kirchenzucht. Er gibt sie in die Hand der weltlichen Instanzen, insbesondere der Amtleute, deren Poli-
zeibefugnis auch die Kirchendiener unterworfen sind. Darüber hinaus ist eine Vermahnung der in Lehre
und Wandel zu beanstandenden Personen durch die Kirchendiener, bei Hartnäckigkeit ihr Ausschluß
von den Sakramenten, bei Besserung ihre Wiederzulassung zu diesen durch jene vorgesehen. Brüderliche
Zurechtweisung der Gemeindeglieder untereinander soll dies ergänzen. Dies ist erstaunlich, wenn man
sich vor Augen hält, daß der Katechismus in Frage 85 die Übung der Zucht der Kirche oder den von ihr
Verordneten zuschreibt, die Kirchenordnung in ihrem Abschnitt über die Exkommunikation im An-
schluß an das Abendmahlsformular diese sogar ausdrücklich der alleinigen Gewalt der Kirchendiener
entzieht - hier steht das Heshusensche Bannverständnis in einer Linie mit dem katholischen Bann -
und die Aufstellung besonderer Verordneter vorsieht. Über den Prozeß wird eine gesonderte Verfügung
angekündigt. In dieser Diskrepanz zwischen Katechismus und Kirchenordnung auf der einen und der
Kirchenratsordnung auf der anderen Seite liegt die Exposition des Kirchenzuchthandels, der die kur-
pfälzische Kirche später erschüttern sollte.
Daß diese, an die Handhabung der christlichen Polizei angelehnten Bestimmungen erst 1564 und
dazu noch von den späteren ,,Disziplinisten“ Ehem und Zuleger formuliert worden seien, ist schwer ver-
ständlich. Man kann vermuten, daß hierin, was mehr Wahrscheinlichkeit für sich hat, ältere Bestimmun-
gen fortleben, oder aber, daß hier ein Kompromiß zwischen Calvinisten auf der einen und Melanchtho-
nianern und Zwinglianern auf der andern Seite vorliegt, diese konzedierten den Ausschluß vom Abend-
mahl,jene verzichten zu dieser Zeit auf die förmliche Einrichtung von Presbyterien. Sicherheit kann nur
die Erschließung neuen, bisher unbekannten Quellenmaterials erbringen19.
Diese Kirchenratsordnung besaß einige Anlagen, die wir nicht mehr kennen, eine Superintendenten-
instruktion, eine Generalvisitationsinstruktion und eine allgemeine Schulverordnung. Statt der letzteren
stehe ein im Konzept wieder gestrichener Passus über das kurpfälzische Schulwesen. Schließlich muß
noch ein Nebenverzeichnis strafbarer Delikte zur Polizeiordnung existiert haben, das wir nicht mehr
besitzen. Wahrscheinlich ist dies mit der später (in Nr. 44) erwähnten Deklaration der Polizeiordnung
vom 21. Juli 1564 identisch gewesen. Als einzige Anlage, freilich nur in späten Kopien, erhalten ist die
33. [Kirchendienerbestallung vom 21. Juli 1564].
Sie verbleibt in ihrem sachlichen Gehalt ganz in den bereits von der Kirchenratsordnung gesteckten
Grenzen. Wie dort sind die Hl. Schrift und die altkirchlichen Symbole Lehrnorm. Katechismus und
Kirchenordnung sollen zum praktischen Gebrauche approbiert werden. Eine dezidierte Bekenntnisver-
pflichtung fehlt also, weder die Confessio Augustana noch der Heidelberger Katechismus werden in die-
sem Zusammenhang genannt. Die Form der Kirchenzucht ist die der Kirchenratsordnung. Die An-
stellung eines geordneten Almosenwesens wird besonders hervorgehoben.
34. Form, wie das heilig nachtmal unsers herrn und heilands Jesu Christi sampt der vorbereitung in
der kirchen zu Heidelberg und anderen kirchen der churfürstlichen Pfaltz bey Rhein gehalten wirdt
[von 1564].
Dies ist ein Zeugnis der langwierigen und heftigen Auseinandersetzungen, in die Kurpfalz wegen
ihres Übergangs zu reformiertem Bekenntnis und Gottesdienstgestalt mit theologischen und fürstlichen
Gegnern lutherischen Bekenntnisses geriet. Wie die theologischen Apologien eines Ursinus die Lehre des
19 Doch glaubt Zeeden, Calvinistische Elemente, S. 199-212, hier noch fast durchgehend calvinische Einflüsse nach-
weisen zu können.

4 Sehling, Bd. XIV, Kurpfalz

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