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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Bergholz, Thomas [Bearb.]; Goeters, J. F. Gerhard [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (19. Band = Rheinland-Pfalz, 2, 2. Teilband): Die Reichsstädte Landau, Speyer und Worms - die Grafschaften Leiningen, Sayn und Wied - die Wild- und Rheingrafschaft - das Fürstentum Pfalz-Simmern - die Grafschaft Pfalz-Veldenz (Nachtrag) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.30660#0201
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Einleitung

der Institution erscheinen. Die wichtigsten Gestalten für beides sind der sächsische Edelmann Otto von
Grünrad und der schlesische Theologe Melchior Anger. Grünrad,42in Leipzig und Wittenberg gebildeter
Kryptocalvinist, hatte unter Johann d. Ä. von Nassau-Dillenburg entscheidenden Anteil an der Einführung
des reformierten Bekenntnisses in den Wetterauer Grafschaften. Johann Casimir bestellte ihn zum Hof-
meister seines Mündels Friedrich IV., auf dessen Erziehung der theologisch versierte Grünrad einen grossen
Einfluss ausübte. Vergeblich versuchte Friedrich in dankbarer Anhänglichkeit, 1592 Grünrad für Regie-
rungsämter zu gewinnen. Aber als Präsident des Kirchenrats bis 1612 steht er an der Spitze der kurpfäl-
zischen Kirche und hinter allen in ihr getroffenen Massnahmen. Er ist der Leiter der Generalvisitations-
kommission von 1593/94. Über die Rheinpfalz hinaus ist die Einführung reformierten Kirchenwesens in
Oberpfalz, Pfalz-Simmern und Hanau-Münzenberg mit seinem Namen verbunden. Gleich bedeutsam neben
ihm ist der Ursinschüler Melchior Anger,43 der nach 1566 in Heidelberg begonnenem Studium dort Pfarrer
wird. Er steht während des lutherischen Interregnums in Mutterstadt und kehrt schon 1583 nach Heidel-
berg zurück, von wo aus er nach Bensheim als Pfarrer und Inspektor (vgl. Text Nr. XIV/86) geht. Von dort
rückt er wieder nach Heidelberg auf und löst anscheinend Daniel Tossanus als Hofprediger ab, wird theo-
logisches Mitglied des Kirchenrats und als solcher 1595 ständiger Ordinarius Visitator der kurpfälzischen
Kirche (vgl. unten Text Nr. 37) bis zu seinem Tode am 20. März 1607. Wenn auf Otto von Grünrad wohl die
meisten kirchenrechtlich bedeutsamen Akte dieser Zeit zurückzuführen sind, so hat Anger dem katecheti-
schen Werk die Formen gegeben und den Stempel seines Geistes aufgeprägt und damit das praktisch-kirch-
liche Leben tief beeinflusst.
Das Visitationswerk, das vielleicht schon anderwärts zuvor in Gang gesetzt worden war, nahm seinen
eigentlichen Anfang in der Residenzstadt Heidelberg, wo die Visitation auch im Winter durchgeführt wer-
den konnte, mit:
27. Ankündigung der Visitation 13. November 1593 (Text S. 797)
Vortrag, so bey der angestelten visitation churf.[ürstlicher] Pfaltz angehörigen, dienern und burgerschaft zue
Heidelbergk beschehen den 13. Novemb. anno [15]93.
Solche Vorträge oder Predigten gehören gemeinhin zur Eröffnung von Visitationen beim Beginn an
einzelnen Orten. In ihnen künden die Visitatoren ihre Tätigkeit an und erläutern Veranlassung und Zweck
des Vorhabens. Die Besonderheit hier besteht darin, dass es eine schriftlich fixierte Proklamation des Lan-
desherrn ist.
Die Veranlassung besteht in der ungenügenden und fehlerhaften Unterrichtung des Kirchenvolks selbst
in den Rudimenten des Glaubens, in den fünf Hauptstücken. Es wird ausgeführt, dass bei diesem Mangel an
christlicher Erkenntnis kein Glauben, kein rechtes Gebet und kein Gottesdienst (christliches Leben) mög-
lich sei. Der Landesfürst hat da Abhilfe zu schaffen, da er vor Gott für die zeitliche und ewige Wohlfahrt
seiner Untertanen verantwortlich ist. Die Visitation dient dem in zwiefacher Weise, einmal durch Feststel-
lung des Standes der Unterrichtung bei den Bürgern. Das meint offensichtlich Vorbescheidung aller
Gemeindeglieder und ihr Examen auf die fünf Hauptstücke und den „Weg der Seligkeit“ in zwanzig Fragen.
Dass es sich hierbei um bereits formulierte Dokumente handeln muss, wird weiter unten auszuführen sein.
Dazu sollen in Heidelberg die Befragungen nicht öffentlich und jeweils nach Geschlechtern getrennt in
Anwesenheit der zuständigen Pfarrer in deren Stadtquartieren vorgenommen werden. Alle strittigen Reli-
gionsartikel sollen beiseite gelassen und nur die Hauptstücke behandelt werden. Gemeindeglieder,- die in

42 Über diesen orientiert noch am besten Melchior
Adam,Vitae germanorum theologorum, Heidelberg 1620,
S. 827-833; Wiederholung und nur geringfügige Ergän-
zungen bei F. W. Cuno, ADB 49 (1904), S. 603-604.

43 Anger hat noch nicht eine biographische Würdigung
gefunden, die angesichts seiner Bedeutung für die kur-
pfälzische Kirche überaus lohnend erscheint. Hier fol-
gend einige Notizen.

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