Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Dörner, Gerald [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 2. Teil): Grafschaft Schaumburg, Goslar, Bremen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2016

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30840#0059
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Einleitung

Sohn Graf Ottos IV. von der Mehrheit des Domkapitels zum Mindener Bischof gewählt wurde133. Der neue
Bischof gewährte dem Stift keine Unterstützung mehr und trat 1570 formell vom Prozeß vor dem Reichs-
kammergericht zurück134. Damit konnte sich auch der vom Konvent gewählte Propst Anton Minsche nicht
mehr halten. Bei Vergleichsverhandlungen in Minden verzichtete er gegen eine Abfindung von 500 Talern
auf seine Ansprüche auf die Propstei und versprach auch, den Reichskammergerichtsprozeß nicht weiter zu
verfolgen. Die Propstei blieb fortan unter landesherrlicher Verwaltung. Die Vertretung des Stifts auf den
schaumburgischen Landtagen übernahm der vom Graf eingesetzte Amtmann135.
9. Zuchtmandat, 24. Februar 1570 (Text S. 70) / 11. Zuchtmandat, 28. April 1576 (Text S. 76) /
24. Weisungen zum Besuch der Gottesdienste und zur Heiligung Gottes, 1615 (Text S. 171)
Gemeinsames Ziel der drei Ordnungen ist es, durch die Bekämpfung verschiedener Mißstände die Ehre
Gottes zu bewahren und den Besuch der Gottesdienste zu fördern. Die ersten beiden Erlasse stammen aus
der Regierungszeit Graf Ottos IV. Sie sind nur handschriftlich überliefert, wobei das zweite Mandat aus
Ottos letztem Lebensjahr starke Beschädigungen aufweist. Auffällig ist bei diesem, an den Sachsenhagener
Drosten Hermann von Mengersen136 gerichteten Schreiben vom April 1576 das Durcheinander der einzelnen
Anordnungen (s. den Wechsel der Bestimmungen zum Fluchen und Schwören und zur Kleidung). Der dritte
Erlaß ist dagegen gedruckt und stammt aus der Zeit des Grafen Ernst. Er bildet den ersten Teil der
„Ordnung [...] in sachen Policey, Gerichte und andere nothwendige articul“, mit der das große Gesetzge-
bungswerk des Grafen aus den Jahren 1614 und 1615 (Kirchenordnung, Amts- und Hausordnung, Polizei-
ordnung) seinen Abschluß findet137.
Zu den Mißständen, die in den drei Erlassen bekämpft werden, gehört der Besuch der Gasthäuser in den
Städten und auf dem Land zu den Gottesdienstzeiten. Die Bestimmungen richten sich dabei sowohl gegen
die Wirte als auch gegen die Gäste, die sich in den Schänken zum Genuß von Wein, Branntwein138 und Bier
einfinden139. Eingedämmt werden soll auch das Herumlaufen auf den Kirchhöfen während der Gottes-
dienste140. Wie in vielen anderen Zuchtordnungen gehört der Kampf gegen das Gotteslästern, das Fluchen
und Schwören (vielfach unter der Wirkung von Alkohol) zu den vorrangigen Zielen obrigkeitlichen Han-
delns141. Nach dem Erlaß des Grafen Ernst von 1615 war das Übel der Gotteslästerung inzwischen derart
verbreitet, daß niemand mehr es anzeigte oder verfolgte.
Für die eingerissenen Mißstände machten die Grafen nicht zuletzt die Nachlässigkeit der Amtsträger
verantwortlich. Deshalb wird im Mandat vom Februar 1570 den Vögten und Stadtdienern die regelmäßige
Verkündigung der Mandate an den Sonntagen ernstlich befohlen. Auch sollen sie ihre Kontrollfunktion
wahrnehmen und zu den Gottesdienstzeiten in den Orten herumgehen, um etwaige Verstöße aufzudecken.
Aber auch die gewöhnlichen Untertanen werden in die Pflicht genommen: Hausväter und -mütter sollen
ihrer Rolle als Vorbild gerecht werden, ein züchtiges Leben führen, Gottes Namen nicht mißbrauchen und
solches auch anderen Personen unter ihrer Aufsicht nicht gestatten.

133 Zu Hermann von Schaumburg (* 1545, † 1592), der 1582
auf das Bistum Minden resignierte und die Tochter eines
Bauern aus dem Amt Rahden heiratete, vgl. Bei der
Wieden, Schaumburgische Genealogie, S. 130f.; Gatz,
Bischöfe, S. 285f. sowie Bernstorf, Bischof Hermann.
134 Vgl. Brosius, Stift Obernkirchen, S. 166f.
135 NLA Bückeburg L 1, Nr. 666. Vgl. auch Brosius, Stift
Obernkirchen, S. 167.
136 Zu Hermann von Mengersen s. Nr. 1, Anm. 3.
137 Vgl. Bei der Wieden, Renaissancefürst, S. 45-48.

138 Zum Branntwein (auch als Aqua vitae bezeichnet) und sei-
nem Ausschank vgl. die bei Sprengler-Ruppenthal,
Register, S. 36 und 140 nachgewiesenen Stellen.
139 Zu ähnlichen Bestimmungen in anderen Ordnungen dieses
Raums vgl. Sehling, EKO VI,2, S. 864f., 911 und 1037;
EKO VII,1 S. 227, EKO VII,2,2,1, S. 941 etc.
140 Vgl. Sehling, EKO VI,2, S. 863 und 1037; EKO VII,1,
S. 21, 164, 186 etc.
141 Vgl. Sehling, EKO VI,2, S. 809f. und 937f.; EKO VII,1
S. 19f.; 394f., 399f. etc.

39
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften