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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 2. Teil): Grafschaft Schaumburg, Goslar, Bremen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.30840#0206
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Goslar

Im letzten der zwölf Artikel wird auch auf die Tätigkeit Amsdorfs in Goslar Bezug genommen: Die
Pfarrleute forderten den Rat nämlich auf, die Stadt Magdeburg um einen längeren Urlaub für Amsdorf
(mindestens bis Ostern) zu bitten, damit er die eyndracht zwischen den Bürgern wiederherstellen könne. Die
„Articuli“ greifen die Forderung der „Gravamina“ von 1525 wieder auf: die reine und lautere Predigt des
Wort Gottes. Für die Gemeinde von St. Jakobi handelt es sich dabei um den zentralen Punkt ihrer For-
derungen (yn unsern artickelen alße dat groste und nodigste). Voraussetzung für die Verkündigung des Wort
Gottes ist die Berufung christlicher Prediger. Die Gemeindeglieder verbinden damit wie in den „Grava-
mina“ das Anliegen der Pfarrerwahl durch die Gemeinden. Umgekehrt gilt es für sie, alle Elemente zu
beseitigen, die sich dem Evangelium widersetzen. In Amsdorfs Gegenwart sollen deshalb die altgläubigen
Geistlichen und Mönche von Rat, Gilden und Meinheit zur Verantwortung gezogen und zur Abstellung
aller „Abgötterei und Gotteslästerung“ gezwungen werden.
Die „Articuli Jacobitarum“ sind ein deutliches Votum gegen die abwartende und taktierende Haltung
des Rates. Mit Berufung auf die „clausula Petri“ (Apg 5,29) wird die Einführung der Reformation in Goslar
gefordert trotz der drohenden Reichsacht. Dabei wird auf die große Zahl der Reichsstände verwiesen, die
entgegen aller Drohungen des Kaisers und des Reichsregiments die Reformation eingeführt hatte und nicht
in die Reichsacht gekommen war. Zum Schutz der Stadt plädieren die Pfarrgenossen für einen Beitritt
Goslars zum Torgau-Magdeburger Bund, für den der Magdeburger Rat anscheinend auch schon mehrfach
geworben hatte104.
Der Goslarer Rat holte die Stellungnahmen der Gilden sowie der Pfarrgemeinden zu den „Articuli Jaco-
bitarum“ ein. Die Gilden - es fehlen lediglich die Stellungnahmen der Bäcker und der Kürschner - sprachen
sich mehr oder minder eindeutig für die Predigt des Wort Gottes aus. Einige Gilden (z.B. die Schuhmacher)
forderten aber gleichzeitig ein Festhalten an den kaiserlichen Mandaten. Weit verbreitet war der Wunsch
nach einer Angleichung des Gottesdienstes in den fünf Pfarrkirchen der Stadt. Mehrere Gilden äußerten sich
gegen die Ausübung von Zwang: Weil das Wort Gottes frei sei, solle es jeder dort hören, wo er wolle105.
Die Stellungnahme der Pfarreien zu den „Articuli Jacobitarum“ zeigt die große Zerrissenheit innerhalb
der Gemeinden. Anscheinend hatte neben den Pfarrgenossen von St. Jakobi auch noch eine Gruppe aus der
Frankenberger Gemeinde dem Rat einen entsprechenden Katalog mit Forderungen überreicht (hebben etlike
artikel gelike wu de van S. Jacobi overgeven); diese waren aber nicht verlesen worden, weil eine andere Gruppe
der Gemeinde ihre Unterstützung verweigerte (nicht welde tostaden noch inrumen). Die Spaltung innerhalb
der Gemeinden trat auch bei der Beurteilung der Tätigkeit Amsdorfs zutage: Von den Gemeindegliedern der
Marktkirche, in der Amsdorf bislang gepredigt hatte, schloß sich eine Gruppe dem Wunsch der Pfarrge-
nossen von St. Jakobi an, Amsdorfs Aufenthalt bis Ostern zu verlängern; eine andere wollte ihn möglichst
rasch wieder loswerden: bidden ok, dat de Amstorffer ore [ihre] kerk vorder welde miden; den kaplan willen se ok
in orer kerken nicht weten. Die Gemeindeglieder der Thomaskirche schlugen hingegen eine Prüfung von
Amsdorf durch die Goslarer Pfarrer vor: Und wur he unrecht befunden, welden se one [ihn] io so balde als ein
ander [...] helpen wegjagen. Wie schon bei den Gilden gab es auch bei den Pfarreien das Nebeneinder vom
Wunsch nach der Predigt des Wort Gottes und dem nach Gehorsam gegenüber den kaiserlichen Mandaten.
Einig waren sich die Gemeinden lediglich in der Ablehnung jeglicher Form von Ikonoklasmus und der
Forderung nach einer harten Bestrafung der Bilderstürmer106.

Initiator der „Articuli“ gilt Hölscher der obengenannte
Kaplan der Jakobskirche, Johannes Klepp.
104 In Gotha und Torgau hatten sich Kurfürst Johann von
Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen im Frühjahr
1526 gegenseitige Hilfe bei Angriffen wegen des Glaubens
zugesagt. Auf einem Tag in Magdeburg am 2. Juni 1526
schlossen sich weitere Territorialherren (u.a. die Herzöge

von Mecklenburg und die Herzöge von Braunschweig)
sowie die Stadt Magdeburg (zum Schutz gegen den Erz-
bischof) dem Bündnis an. Vgl. Gebhardt, Handbuch 8,
S. 129f.
105 Die Stellungnahme der Gilden ist abgedruckt bei Höl-
scher, Geschichte der Reformation, S. 27f.
106 Abdruck ebd., S. 28-30.

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