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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 2. Teil): Grafschaft Schaumburg, Goslar, Bremen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.30840#0211
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Einleitung

ordenung der stadt Goslar“ müßte also eine Übertragung der im „Verzceignus der gheenderten mißpreuch
und cerimonien“ dokumentierten Nürnberger Gottesdienstordnung der Pfarrkirchen von 1524 sein. Tat-
sächlich ergeben sich an verschiedenen Stellen Verbindungen zwischen dem in der „Kyrchenordenung der
stadt Goslar“ und dem in der Nürnberger Ordnung dargestellten Ablauf des Gottesdienstes. So erscheinen
etwa bei der um 8 Uhr am Morgen in den Goslarer Pfarrkirchen abgehaltenen hochmesse die im „Verzceig-
nus“ aufgeführten Elemente Introitus, Kyrie und Gloria in excelsis, vom Priester gesungene Kollekt, Epi-
stellesung, Gradual und Halleluja samt Sequenz, Gesang des Evangeliums durch den Priester und Sym-
bolum Nicaeno-Constantinopolitanum. Alle diese Elemente finden sich aber bereits in Luthers „Formula
missae“, auf die sich die Nürnberger „Gottesdienstordnung der Pfarrkirchen“ stützt137. Neu gegenüber der
„Formula missae“ und der Nürnberger Ordnung ist bei der „Kyrchenordenung“ der Gesang eines deutschen
Psalms bzw. des „Nun bitten wir den Heiligen Geist“ nach dem Halleluja und der Sequenz; auch kann in
Goslar das Nicaenum durch das „Deutsche Patrem“ („Wir glauben all an einen Gott“) ersetzt werden.
In der „Kyrchenordenung“ schließt sich an die Vesper am Samstag und am Vorabend der Feste noch
eine Art Vorbereitungsfeier für das Abendmahl an, bei dem die Prädikanten den Personen, die am nächsten
Tag zum Tisch des Herrn gehen wollen, die Beichte abnehmen, sie über den rechten Gebrauch des Abend-
mahls unterrichten und ihnen die Absolution zusprechen. Bei der hochmesse am folgenden Tag wird das
Abendmahl durch die vom Priester gesungene Präfation eingeleitet, auf die das vom Chor intonierte Sanc-
tus folgt. Neben der Ermahnung zwischen Predigt und Gemeinem Kirchengebet gibt es an dieser Stelle
nochmals ein Mahnwort eigens für die Kommunikanten. Das Vater unser und die Verba testamenti leiten
dann zur Austeilung von Brot und Wein über, die der Chor durch das „Agnus Dei“ begleitet. Auch wenn
sich gewisse Parallelen in der Nürnberger Ordnung finden, weist die Gestaltung des Abendmahlteils in der
„Kyrchenordenung“ doch deutliche Eigenheiten auf, so daß hier von einer Abhängigkeit nicht die Rede sein
kann.
Im Unterschied zu Amsdorfs „Vom teglichen gots dinst“ enthält die „Kyrchenordenung der stadt Gos-
lar“ ein Verzeichnis der Feiertage, die weiter Bestand haben sollen. Hierbei zeigen sich ebenfalls deutliche
Unterschiede zu den Gewohnheiten in Nürnberg. Während dort neben den Christ- und Marienfesten nur-
mehr der Zwölfbotentag bestehen bleiben soll, werden in Goslar zusätzlich noch die Tage Johannes des
Täufers, des Protomärtyrers Stephanus und des Erzengels Michael mit grosser heiligkeit begangen. Daneben
sollen auch die Aposteltage weiterhin gehalten werden, von denen im Nürnberger „Verzceignus“ keine Rede
mehr ist138.
In der Ordnung der Gottesdienstzeiten (Nr. 4) war festgelegt worden, daß die Prädikanten mit den
ceremonien [...] dem doctor volgich syn sollen. Anscheinend kam es unter den evangelischen Geistlichen über
die Gestaltung der Gottesdienste aber zu einem heftigem Streit, denn Antonius Corvinus berichtet in seiner
1529 erschienenen Schrift „Warhafftig bericht, das das wort Gottes ohn tumult, ohn schwurmerey zu Gosler
und Braunschweigk gepredigt wird“, etliche der Prädikanten hätten sich gegen den Superintendenten
gewandt, die weil [...] Amandus etliche Ceremonien anders denn Amsdoff gehalten. Die Auseinandersetzung
habe sich schließlich so zugespitzt, das sie Amandum nicht [mehr] erkennen wolten vor einen superintenden-
ten139.

137 Als Überblick zum Ablauf des Gottesdienstes nach der
„Formula missae“ s. TRE 2, S. 7f.
138 In der von Amsdorf verfaßten Kirchenordnung von 1531
erscheint der Tag des Hl. Stephanus dann aber nicht mehr

unter den gebotenen Festtagen. Und die Aposteltage wer-
den mit einer Predigt am Vormittag begangen (Nr. 7,
S. 246).
139 Corvinus, Warhafftig bericht (1529), Bl. B 4a.

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