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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 2. Teil): Grafschaft Schaumburg, Goslar, Bremen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.30840#0225
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Einleitung

St. Simon und Judas und St. Peter. Darin wird zwar der Weiterbestand der Stifte und der mit ihnen ver-
bundenen Kapitel nicht grundsätzlich in Frage gestellt, die in der Eingabe enthaltenen Vorschläge bedeu-
teten aber einen tiefen Eingriff in die bisherige Struktur der Stifte. So war eine deutliche Reduzierung der
Zahl der Kanonikate vorgesehen: Von den bislang 12 Kanonikaten des Münsterstifts St. Simon und Judas
sollten neben dem Dekanat nur noch vier oder fünf Chorherrenstellen übrigbleiben und diese dann mit
Goslarer Bürgersöhnen und Magistern der Artistenfakultät besetzt werden. Die Stelle des Dekans sollte der
jeweilige Superintendent wahrnehmen. Das Dekanat und die Kanonikate des Stifts auf dem Petersberg
waren dagegen zur Versorgung des Stadtschreibers und des städtischen Syndikus bestimmt232. Die Eingabe
der Prädikanten sah aber nicht nur eine Reduzierung der Kanonikate vor, sondern auch die vollständige
Aufhebung aller Kaplaneien an den beiden Stiften, da sie mit der Abschaffung der Messen ihre Funktion
verloren hatten.
Mit den Plänen zur Umgestaltung der Goslarer Stifte dürfte die Überlieferung eines Dokuments im
Stadtarchiv Goslar zusamenhängen, das als „Straßburgische Ordnung“ bzw. „Straßburgische Statuten
wegen Verleihung der Kirchenlehen an tüchtige und qualifizierte Personen“ betitelt ist233. Bei diesem Doku-
ment handelt es sich um das vom Straßburger Magistrat im Jahr 1539 erlassene Munizipalstatut. Mit dem
Munizipalstatut suchte der Straßburger Magistrat die Verleihung der an den vier Stiften der Stadt frei-
werdenden Pfründen neu zu regeln234. Ziel war dabei die Besetzung der Pfründen mit Personen, von denen
sich die Ratsherren einen Nutzen für die Straßburger Kirche und Schule versprachen235. Eine solche Tätig-
keit der Kanoniker des Stifts St. Simon und Judas sah auch die Eingabe der Goslarer Prädikanten vor: So
sollte der Dekan theologische Lektionen, die Chorherren hebräische, griechische und lateinische Vorlesun-
gen halten. Einer der Kanoniker sollte das Pfarramt übernehmen, ein anderer das des Schulmeisters.
In seiner Stellungnahme zur Eingabe lehnte der Rat die Aufhebung des Klosters Frankenberg ab. Er
drängte vielmehr auf eine konsequente Umsetzung der Bestimmungen der „Reformatio“ von 1542. Deren
Programm legte er auch der Neuordnung für das Klosters Neuwerk zugrunde. Wie den Magdalenerinnen
am Frankenberg wies er den Zisterzienserinnen mit der Erziehung der Bürgertöchter eine neue Aufgabe zu.
Im Fall der beiden Kollegiatstifte verschob der Rat wohl aus Vorsicht eine Entscheidung. Er ermahnte den
Superintendenten sogar zur Zurückhaltung bei seiner Visitation: Die beiden Kapitel sollten bei ihren wohl-
verbrieften Rechte belassen werden236.

C. Das Interim und die Entwicklung der Goslarer Kirche in der zweiten Hälfte
des 16. Jh. und zu Beginn des 17. Jh.
Das Interim hatte auf die Entwicklung der Kirche in Goslar kaum Auswirkungen. Mit der im März 1550
zwischen Rat und Geistlichkeit erzielten Vereinbarung (Nr. 19) wurde ein erster Schritt zur Verbesserung
der wirtschaftlichen Situation der Pfarrer und ihrer Familien unternommen. In Tilemann Heshusen erhielt
die Goslarer Kirche 1553 nach einer Unterbrechung von sechs Jahren wieder einen Superintendenten
(Nr. 20). Das Amt des Pfarrers der Marktkirche und Superintendenten war Heshusens erste Stelle. Zentrale
Zeugnisse seiner Goslarer Tätigkeit bilden die Visitations- und die Konsistorialordnung (Nr. 21 und 22).

232 Zur Ratskanzlei der Stadt Goslar und ihren Mitgliedern
vgl. Cordes, Schriftwesen, S. 9-22.
233 StadtA Goslar B 4569.
234 Der Straßburger Magistrat hatte die Besetzung der in den
päpstlichen Monaten freiwerdenden Pfründen an sich
gezogen. Vgl. dazu auch die Bemerkung in der Eingabe
der Goslarer Prädikanten, wonach der Rat nun Papst sei
(S. 284f.).
235 Die deutsche Fassung des Munizipalstatuts ist abge-

druckt in Sehling, EKO XX,1, Nr. 26b, S. 296-299.
Das Munizipalstatut verlangte u.a. von jedem Bewerber
um eine Pfründe an einem der Stifte die Ablegung eines
Examen canonicum, zum Examen ebd., S. 66f. Vgl. auch
Bucers Verteidigung des Munizipalstatuts gegen die alt-
gläubigen Stiftsherren in Bucer, Deutsche Schriften 16,
Nr. 17, S. 363-425.
236 Vgl. Hölscher, Geschichte der Reformation, S. 150.

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