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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Dörner, Gerald [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (7. Band = Niedersachsen, 2. Hälfte, 2. Halbband, 2. Teil): Grafschaft Schaumburg, Goslar, Bremen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.30840#0382
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Bremen

den Rat auf, allen Geistlichen der Stadt das Schelten von den Kanzeln zu verbieten und sie zur Predigt des
Evangeliums anzuhalten102.
Eine neue Situation entstand durch den zweiten Nürnberger Reichstag vom Winter 1522/23. Im Reichs-
tagsabschied vom 9. Februar 1523 war die Forderung der Stände nach einem freien christlichen Konzil
bestätigt worden. Bis zur Entscheidung durch ein Konzil sollten die Geistlichen das heilig evangelium, nach
auslegung der schriften von der heiligen christlichen kirchen approbiert und angenomen, verkündigen und sich
in ihren Predigten aller Sachen enthalten, die unnütz und disputierlich wären103. Auf diesen Abschied des
Nürnberger Reichstages berief sich Bremen in der Folge immer wieder gegenüber dem Erzbischof104.
Im August 1523 informierte der Stader Bürgermeister seinen Bremer Kollegen Daniel von Büren d. Ä.
über mögliche militärische Maßnahmen des Erzbischofs105. Der Rat verstärkte daraufhin die Arbeiten an
den Befestigungen. Gerüchte über die Ansammlung von Landsknechten nahe der Stadt führten zur Zer-
störung des Paulusklosters vor dem Ostertor, um den gegnerischen Truppen die strategische Nutzung der
Klostergebäude unmöglich zu machen106. Die Zerstörung des Klosters, das zuvor durch den Abt und die
Mönche geräumt worden war, spielte in den weiteren Auseinandersetzungen mit dem Erzbischof eine wich-
tige Rolle107.
Wohl wegen der Zuspitzung der Lage beschloß der Rat noch 1523 die Einsetzung einer zehnköpfigen
Kommission, die ihn in kirchlichen Angelegenheiten beraten sollte. Unter den Mitgliedern der Kommission
befanden sich einige Personen, die sich ein Jahr zuvor nachdrücklich für den Verbleib Heinrichs von Züt-
phen eingesetzt hatten. Die Kommission versuchte auf die beiden Bettelordenskonvente wegen ihrer Ver-
kündigung einzuwirken. Vor allem der Prior und der Lesemeister der Dominikaner scheinen Zütphen und
den Bremer Rat in ihren Predigten mehrfach heftig angegriffen zu haben. Beide wurden Anfang 1524 mit
zwei weiteren Mönchen vom Rat aus der Stadt gewiesen. Die Kommission bemühte sich auch, die Pfarrer
der beiden nicht mit einem Stift verbundenen Pfarrkirchen von Martini und Unserer Lieben Frau, Johann
Wolthoff und Hinrich Stange, dafür zu gewinnen, dat se na eren ampte dat hillige evangelion oren kaspelüden
predigen. Beide lehnten dies jedoch ab108.
Im Frühjahr 1524 sandte der Offizial dem Erzbischof einen Bericht, in welchem aus Zütphens Predigten
eine Liste mit 32 Punkten zusammengestellt war, die Material für eine Anklage wegen Ketzerei liefern
sollte109. Zum 1. September 1524 berief Erzbischof Christoph einen Landtag nach Basdahl ein, auf dem er in
Gegenwart seines Bruders, Herzog Heinrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel, Anklage gegen die Stadt
Bremen erhob: Er beschuldigte die Stadt, sich mit der Anstellung Heinrichs von Zütphen bischöfliche
Gewalt angemaßt und mehrfach in die Rechte von Geistlichen eingegriffen zu haben. Die aufrührerischen
Predigten Zütphens betrachtete er als Hauptursache für den Übergriff auf das Pauluskloster. Wie schon bei

102 Vgl. Iken, Erste Epoche, S. 55; Heyne, Reformation in
Bremen, S. 20; Schwarzwälder, Geschichte 1, S. 174.
Zu den Mandaten der Magistrate oberdeutscher Städte
aus den Jahren 1523 und 1524 mit den gleichen Forderun-
gen (Aufgabe des Scheltens von der Kanzel und Predigt
des Evangeliums) s. Sehling, EKO XX,2, S. 159f.
103 Vgl. RTA JR 3, Nr. 117, S. 736-759 (vor allem S. 747f.).
104 So etwa Bürgermeister Daniel von Büren auf seinem Tref-
fen mit den erzbischöflichen Räten in Achim im Mai
1523.
105 Unterstützung sollte Erzbischof Christoph dabei durch
seinen Bruder Heinrich d. J. von Braunschweig-Wolfen-
büttel (zu ihm und seinem Eintreten für die katholische
Sache vgl. den Abschnitt zu Goslar und hier vor allem die
Einleitung S. 182f.) und den dänischen König Chri-
stian II. erhalten.
106 Quellen zur Reformationsgeschichte (Auszüge aus Chro-

niken), S. 224. Vgl. Schwarzwälder, Geschichte 1,
S. 220.
107 Vgl. dazu auch das auf die Klage des Erzbischofs erlassene
Mandat des Reichskammergerichts vom 12. Juni 1529 in:
Quellen zur Reformationsgeschichte (Urkunden), Nr. 19,
S. 67f. Noch in seiner Eingabe an den Regensburger
Reichstag von 1541 führte Erzbischof Christoph die Zer-
störung des Klosters als Klagepunkt gegen die Stadt an.
108 Zu dieser Kommission und ihrer Tätigkeit vgl. Quellen
zur Reformationsgeschichte (Auszüge aus Chroniken),
S. 224f.
109 Abdruck des Berichts des Offizials mit den 32 Artikeln
(Positiones et articulos [...], in quodam negotio heretice
pravitatis contra quendam fratrem Hinricum de Zutpha-
nia [...] illos palam et publice coram populi multitudine
predicantem super sincera et mera veritate inqui-
renda [...]), in: Iken, Erste Epoche, S. 108-113.

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