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Telekleides

Die Streitlust der Mitbürger wird durch eine kannibalistische Metapher
ausgedrückt. Das Bild des Kannibalismus evoziert in der griechischen Kultur
eine unerhört schreckliche Tat, welche die Griechen lediglich bei anderen
Völkern kannten, in der eigenen Kultur jedoch nur in Extremsituationen (wie
bei der Belagerung von Poteidaia im J. 430/29: Thuc. II 70, mit dem Ausdruck
άλλήλων έγέγευντο; vgl. Parker 1983, 305, Garnsey 1988, 28-9 und Gatz 1997,
230, 5a „allelophagia“). In Hdt. III 25,7 wird der Kannibalismus, den die persi-
schen Soldaten zum Schrecken ihres Anführers Kambyses bei der Kampagne
gegen die Äthiopen als Mittel, dem Hungertod zu entgehen, verübten, als
δεινόν εργον qualifiziert (vgl. Vernant 1979, 248-9; die Nachricht bei Diod.
Sic. 114,1 über den ursprünglichen Kannibalismus bei den Ägyptern, ehe Isis
Korn und Gerste ,erfand“, geht auf Hekataios zurück: Hecat. FGrHist 264 F
25,96-7). Die Präsenz des Kannibalismus in der Antike ist v.a. mit zahlreichen
Mythen verbunden (Kyklopen und Eaistrygonen in der Odyssee, Tydeus und
Melanippos, Nyktimos, Tereus, Tantalos und Pelops; vgl. Dalby 2003, 72-3,
mit weiterer Eit.).
1 άλλ’ ώ - λωστοι In stärkerem Grad als ähnlich konstruierte
Anreden in der Komödie (wie Ar. Plut. 507 άλλ’ ώ πάντων ράστ’ ανθρώπων
άναπεισθέντ’ ούχ ύγιαίνειν / δύο πρεσβύτα: es spricht Penia; com. adesp.
fr. 526 άνδρες Ελλήνων άριστοι καταβαλεϊν παράστασιν; zitiert bei Kassel-
Austin z.St.) ist für die Bestimmung des Stilregisters die Präsenz dieser
Anredeform bei den Tragikern ausschlaggebend: Soph. Ant. 1183 (ώ πάντες
αστοί: Eurydike an den Boten und die alten Thebaner); Eur. IT 1422 (ώ πάντες
άστοι τήσδε βαρβάρου χθονός: Thoas, König der Taurer, an seine Mitbürger).
Unter den aristophanischen Passagen (Ar. Ach. 508, Av. 32. 34, Eccl. 459. 834)
bietet Lys. 638-9 (ήμεϊς γάρ, ώ πάντες άστοί, λόγων / κατάρχομεν τή πόλει
χρησίμων) die am ehesten vergleichbare Parallele (vgl. Henderson 1987, z.St.:
„Since the women offer serious advice they address the spectators (= the city)
in solemn tones“, mit Verweis u.a. auf Vesp. 1015, Pac. 298 und Dem. 6,2 sowie
Burckhardt 1924, 29ff.): nicht nur wegen der Anrede an ,alle Bürger“, sondern
auch des (hier vom Frauenchor) geäußerten Wunsches, der Polis zu nützen.
αστών Eine Konjektur für das tradierte δε των (Porson 1815, 287). Der in
Aristot. Pol. 1278a 34 formulierte Unterschied zwischen άστός und πολίτης
(die Bildung άστίτης erscheint nur in Soph. fr. 92. 93 R.), wonach der zweite
zugleich über politische Rechte verfüge (ό μετέχων των τιμών), findet in den
literarischen Belegen keine Beachtung. Die Anrede bei Telekleides erscheint in
Gänze, und namentlich in Kombination mit λωστοι, als gehoben-feierlich, was
nicht allein (oder zumindest nicht primär) der Präsenz von άστών geschuldet
sein dürfte. Angesichts der Komödien-Belege (neben Telekleides nur sieben-
mal bei Aristophanes) scheint άστός keine sonderlich markierte Alternative
 
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