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Incertarum fabularum fragmenta (fr. 45)

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der alleinige Lenker des Staates in Athen wurde (vgl. Podlecki 1998, 162). Der
Schwerpunkt des Fragments liegt in der willkürlichen Herrschaft des Perikies,
welche mit göttlichen Attributen porträtiert wird, da das Errichten und
Niederreißen der Mauern zu den Prärogativen der Götter gehört (Stob. Flor.
IV 41,61 Αίσωπος έρωτηθεις ύπό τίνος των έν εξουσία, εί οίδε τί πράττουσιν
οί θεοί, ‘τά μεν οίκοδομοϋσιν’ εφη ‘τά δε καταβάλλουσιν’; zitiert bei Kock I
220). Perikies selbst wird in fr. 18 Olympier genannt (dies dürfte wohl nicht
hinreichen, um mit Meineke 187 auch fr. 45 den Hesiodoi zuzuweisen). Speziell
Stobaios’ Worte zeigen einen gewissen gnomischen Tonfall (dies könnte
auch für τάς μεν δεΐν τάς δ’ άναλύειν in ν. 2 gelten: vgl. hier unten). Es
erscheint nicht nötig, punktuelle Anspielungen auf einzelne Amtsaufgaben
zurückzuführen. Die höchste Souveränität wird ihm, wie der Zitatträger (oder
Telekleides selbst) unterstreicht, von den Athenern selbst verliehen, und allein
sie tragen die Verantwortung auch für die Exzesse dieser Macht nicht anders
als der Demos in Ar. Equ. 164-7 (so Schwarze 1971, 96, gegen Gilbert 1877, 72).
Auf welchen Gebieten ein Staatsmann in Athen - zumindest in der komi-
schen Karikatur - seine Macht auszuüben vermochte, zeigt das Beispiel des
Paphlagon/Kleon, der in Ar. Equ. 306-10 (καί τέλη καί γραφαί καί δικαστήρι’,
ώ / βορβοροτάραξι καί τήν πόλιν άπασαν ή-/μών άνατετυρβακώς: hier ist
von Steuern und Prozessen die Rede) die ganze Stadt mit seiner Dreistigkeit
füllt und durchmischt: er tut dies mit einer Fülle von Attributen, die auch
formal an Telekleides erinnert (so van Leeuwen 1900, z.St.). Aus dem Fragment
dürfte sich neben Perikies’ uneingeschränkter Allgewalt in Athen ebenso sei-
ne Machtstellung über die Symmachoi schließen lassen (vgl. Ameling 1981,
398-9 und Smarczyk 1990, 5 A. 11). Auch hierfür bietet sich der Vergleich mit
Paphlagon/Kleon an: in Ar. Equ. 75-80 ist er imstande, alles zu überwachen
(έφορά γάρ αυτός πάντ’) sowie seine sexuellen bzw. kriminellen Praktiken
überall zu verwirklichen (so Muhl 1881, 79; zur Deutung vgl. zu fr. 63); in
837-40 (εί γάρ ώδ’ έποίσει, / μέγιστος Ελλήνων έσει, καί μόνος καθέξεις / τάν
τή πόλει των συμμάχων τ’ άρξεις έχων τρίαιναν, / ή πολλά χρήματ’ έργάσει
σε ίων τε καί ταράττων) sieht ihn der Chor als den zukünftig größten unter
den Griechen und den einzigen Herrscher über Athen und Verbündete.
Hinsichtlich einer literarischen Auseinandersetzung mit Perikies stellt
das Fragment keinen Einzelfall dar: in fr. 18 erhält er das in der komischen
Verspottung wenig schmeichelhafte Epitheton Olympier, welches ebenfalls auf
seine Übermacht hindeutet; in fr. 47 gewinnt der Scherz mit Perikies’ Kopf die

28, daß sich das Fragment sowohl auf die Zeit des Kallias-Friedens als auch auf ein
„imperial decree“ beziehen lasse.
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften