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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2003 — 2004

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I. Das Geschäftsjahr 2003
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Jahresfeier am 24. Mai 2003
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Darstellung der Arbeiten der Preisträger
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Walter-Witzenmann-Preis
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Valk, Thorsten: Panoptikum der Schwermut - Melancholie im Werk Goethes
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https://doi.org/10.11588/diglit.67592#0030
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JAHRESFEIER

gen Stimmungen, die er als besonders lustvoll erfährt. Allmählich aber wächst sich
die elegische und gemeinhin auch gefahrlose Form der Melancholie zu einer mas-
siven Bedrohung der Seelenbalance aus. Werther kann, wie er selbst betont, das im
Sinne der Empfindsamkeit vertretbare Maß einer »süßen Melancholie« nicht einhal-
ten, da seine Schwermut zunehmend in den Affekt einer »verderblichen Leiden-
schaft« umschlägt. Die pathogenen Wesenszüge treten im Verlauf des Romans immer
deutlicher zutage. Sie umfassen psychische Labilität und depressive Handlungshem-
mung, zwanghafte Introspektion und weltlosen Subjektivismus, Inkludenz und Sui-
zidneigung. Werther zerbricht schließlich an seiner Melancholie, die er im Gespräch
mit Albert als »Krankheit zum Tode« bezeichnet.
Im >Tasso< aktualisiert Goethe die bereits bei Theophrast entwickelte und seit
der Renaissance dann immer wieder neu exponierte Vorstellung einer kreativen
Dichtermelancholie. Tasso verdankt seine über jedes Normalmaß hinausgehende
Schöpferkraft den inspirierenden Wirkungen der Melancholie, zugleich aber muß er
für diese Gabe mit Isolation, gesellschaftlicher Handlungsohnmacht und fortschrei-
tendem Realitätsverlust bezahlen. Dem Künstlerdrama >Torquato Tasso< liegt ein
inspirationstheoretisches Melancholiekonzept zugrunde, das auch jener bekannte
Vierzeiler formuliert, den Goethe in seine zwischen 1812 und 1815 entstandene
Spruchsammlung aufnahm. »Zart Gedicht, wie Regenbogen, | Wird nur auf dunk-
len Grund gezogen; | Darum behagt dem Dichtergenie | Das Element der Melan-
cholie«. In diesem Spruchgedicht verbindet Goethe ebenso wie im Tassodrama den
genial veranlagten Dichter mit der Sphäre der Melancholie. Wie der Regenbogen
immer nur vor einem dunklen Hintergrund erscheint, niemals jedoch am klaren und
wolkenlosen Himmel, so entsteht auch Tassos Dichtung nicht aus dem Zustand einer
heiteren und unbeschwerten Lebensfülle, sondern nur aus der Melancholie, die ihm
zwar die unentbehrliche Schöpferkraft verleiht (Regenbogen), andererseits aber auch
die Schwermut auferlegt (dunkler Grund). Bereits auf Dürers Kupferstich, den
Goethe in seiner eigenen Sammlung besaß, erstrahlt am dämmrigen Horizont em
Regenbogen.
Den motivgeschichtlichen Hintergrund in Goethes >Faust< bildet schließlich
die Tradition der Gelehrtenmelancholie. Sie geht zurück auf Rufus von Ephesus, der
bereits im zweiten nachchristlichen Jahrhundert mit Nachdruck auf die besonderen
Gefahren einer Wissenschaftlerexistenz hinweist. Der Gelehrte verfallt laut Rufus
von Ephesus unausweichlich den Anfechtungen der Melancholie, wenn er ständig
über dicht beschriebenen Schriftstücken sitzt, unablässig wissenschaftliche Probleme
traktiert und dauerhaft seine vitalen Bedürfnisse vernachlässigt. Auch Faust leidet an
der Gelehrtenmelancholie. Daher verwünscht er bereits im Eingangsmonolog seine
abgeschiedene Forscherexistenz, die ihn in eine schwere Lebenskrise gestürzt hat.
Seine enttäuschten Hoffnungen schlagen um in laute Klagen über all jene Bücher
und Instrumente, die ihm bei der Suche nach höchster Erkenntnis nicht weiterge-
holfen haben und nun nutzlos im Studierzimmer herumliegen. Sie erinnern an die
unzähligen Gerätschaften, die bereits auf Dürers Kupferstich die Gestalt der Melen-
colia umgeben und ihren Bewegungsraum einengen. Goethe hat der Anfangspartie
des >Faust< jedoch noch weitere Melancholietraditionen eingeschrieben. So verfällt
 
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