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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2003 — 2004

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I. Das Geschäftsjahr 2003
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 9. Mai 2003
DOI Artikel:
Franz, Wolfgang: Arbeitslosigkeit: Was wir wissen und was wir nicht wissen
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https://doi.org/10.11588/diglit.67592#0052
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SITZUNGEN

aber darin, dass in den Vereinigten Staaten nach einem ruckartigen Anstieg der
Arbeitslosigkeit diese dort stets wieder zu ihrem Ausgangswert vor der jeweiligen
Erhöhung zurückkehrt. Ganz anders stellt sich die Situation in Deutschland dar: Die
Arbeitslosigkeit läuft eher treppenförmig nach oben und sinkt in keinem Fall wie-
der auf das Niveau, welches vor der schubweisen Erhöhung geherrscht hat, das heißt,
jeder Anstieg der Arbeitslosigkeit setzt auf einem höheren Plateau auf.
Hierin manifestiert sich das spezifische Arbeitsmarktproblem Deutschlands. Es
besteht nicht darin, dass Deutschland von Zeit zu Zeit von einem Anstieg der
Arbeitslosigkeit betroffen ist, sei dieser nun auf eine Konjunkturabschwächung
zurückzufuhren oder sei er die Folge angebotseitiger Störungen (wie etwa die Roh-
stoffpreisschocks in den 70-er Jahren). Das eigentliche Problem mit der Arbeitslosig-
keit in Deutschland hegt in ihrem Beharrungsvermögen. Wie in einem Teufelskreis
kehrt der deutsche Arbeitsmarkt nicht nur nicht wieder zu einem hohen Beschäfti-
gungsstand zurück, sondern gerät in einen immer tieferen Sumpf.
Offensichtlich verhindern in unserem Wirtschaftssystem eingebaute Inflexibi-
litäten die Rückkehr zu einem normalen Beschäftigungsstand. Bildlich dargestellt
wirken diese Inflexibilitäten wie die bekannten Sperrklinken bei Rädern: Wenn das
Rad vorwärts gedreht wird, das heißt bei guter wirtschaftlicher Entwicklung, gibt es
diese Sperrklinken zwar, aber sie sind nicht weiter hemmend. Sie verhindern aber
em Rückwärtsdrehen des Rades, das ist schließlich ihre Aufgabe, also im übertra-
genen Sinn eine Anpassung an schwierigere wirtschaftliche Entwicklungen, etwa als
Folge eines verschärften internationalen Standortwettbewerbs.
Gerade diese Eigenschaft als Sperrklinkeneffekte macht die Argumentation so
schwierig, wenn es um die Ursachenanalyse der Arbeitslosigkeit geht. Wie oft wird
bei der ein oder anderen Inflexibilität, die als Ursache der Arbeitslosigkeit genannt
wird, wie beispielsweise arbeitsrechtliche Regelungen, als Gegenargument vorgetra-
gen, diese könnten schon deshalb nicht für die im Zeitablauf gestiegene Arbeitslo-
sigkeit hierzulande verantwortlich sein, weil es dieses institutionelle Regelwerk
schon seit langem gegeben und es sich kaum verändert habe. Der Irrtum bei dieser
Argumentation liegt dann, dass das genannte Arbeitsrecht sicherlich nicht der Grund
für den schubweisen Anstieg der Arbeitslosigkeit ist, aber es mag zu den Beharrungs-
tendenzen der Arbeitslosigkeit beigetragen haben, weil es eine flexible Anpassung
verhindert.
Der empirische Nachweis, dass die ein oder andere vermutete Inflexibilität
Mitverantwortung für die Persistenz der Arbeitslosigkeit trägt, ist außerordentlich
schwierig zu führen, erst gar nicht zu reden von der Forderung, den quantitativen
Beitrag jeder einzelnen Inflexibilität zur Erklärung der Misere auf dem Arbeitsmarkt
zu nennen. Arbeitsmarktökonomen kennen eine Reihe von potentiellen Inflexibi-
litäten auf Arbeitsmärkten, die Arbeitslosigkeit zur Folge haben. Das wissen wir. Aber
wir können nicht oder nur unzulänglich empirisch belegen, ob und in welchem
Umfang jede einzelne Inflexibilität zur Erklärung der bestehenden hiesigen Arbeits-
losigkeit beiträgt. Das wissen wir nicht.
Vielleicht hilft ein Vergleich mit den Naturwissenschaften, um das methodische
Problem, mit dem wir es hier hauptsächlich zu tun haben, zu verdeutlichen. Möch-
 
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