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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2003 — 2004

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I. Das Geschäftsjahr 2003
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 29. November 2003
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Wyss, Beat: Repräsentation und Referenz: zwei Ausgänge aus dem Bildsystem
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https://doi.org/10.11588/diglit.67592#0084
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96 | SITZUNGEN

von Zeichen nach Charles Peirce: dem „Ikon“, dem „Index“ und dem „Symbol“.
Die These sei aufgestellt, wonach die phänomenologische Trias, zusammengehalten
im transzendentalen Akt des Wahrnehmens sich auch immanent im Bild wiederfm-
det, eingeschrieben in der Monade des Bildzeichens. Seit Umberto Eco wurde
immer wieder auf die die Peircesche Theorie im Bereich der visuellen Zeichen
zurückgegriffen. Nicht zuletzt der Index fand Eingang in den Fototheorien von
Rosalind Krauss bis Philippe Dubois. Dabei wurden die Zeichenklassen in aller
Regel statisch aufgefasst und jeweils bestimmten Bildgattungen zugeschrieben. So
wird das Gemälde dem Ikon, die Fotografie dem Index, die Schrift dem Symbol
zugeteilt. Dabei wird übersehen, dass in jedem artifiziellen Zeichen stets alle drei
Klassen immer gleichzeitig enthalten sind. Als Beispiel diene das Reliquiar der Hei-
ligen Fides von Conques, eine Goldschmiedearbeit, begonnen im 9. Jahrhundert. Als
„Symbol“ ist der Reliquienfetisch em liturgisches Gerät. Über festgeschriebene
Konventionen des Gebets, der Frömmigkeitsbezeugung nähert sich der gläubige
Christ diesem Standbild. Als "Index“ verfügt die Heilige Fides über den magischen
Charakter der „Repräsentation“: Sie ist hier körperlich anwesend in Gestalt der
Schädelreliquie, die sich im Rücken des Standbildes befindet. Das "Ikomsche” lässt
sich bestimmen im Typus der halbfigungen Bildnisbüste, deren Formulierung auf die
Antike zurückgeht. In der Tat stammt der Kopf von einem spätantiken Brustbild. Im
Sinne der bildlichen „Referenz“ signalisiert das Antikenfragment: Hier ist die Heili-
ge gegenwärtig im Modus eines Standbilds. Die Spohe dient somit als „Referenz“
für einen Bildtyp.
Damit ist ein Anfang gemacht zur Bestimmung der Doppelnatur des Bildes als
„repräsentierende“ Gestalt und als „referierendes“ Zeichen: Einerseits vergegenwär-
tigt die Bildnisreliquie eine Abwesende; anderseits gibt die Goldschmiedearbeit mit
Antikenversatzstück zu erkennen, dass Bilder aus Bildern kommen.
3. Ikonische Nachträglichkeit
Jedes Bild ist em Zwitterding zwischen Repräsentation und Referenz: Es vermittelt
die einmalige Anwesenheit des Repräsentierten und referiert seinen Bildcharakter
zugleich durch die Wiederholung formaler Strukturen. Dieses Wiedererkennen
steckt schon etymologisch im Bild als eikon. Die „Ikone“ muss ähnlich sein, damit
ich sie als Bild identifiziere. Ähnlich ist sie aber nicht mit dem Referens, der Madon-
na, sondern mit sich selber. In ihrer Selbstähnhchkeit als Bild erinnert die Ikone an
andere, an frühere Bildern.
Das Bild wird erkannt im Prozess der „Nachträglichkeit“. Freud verwendet
diesen Begriff in Verbindung mit zeitlich sich überlagernden seelischen Eindrücken
und deren Bearbeitung. Alte Erinnerungsspuren sind durch spätere Erlebnisse einer
permanenten Umordnung unterworfen. Durch die „Umschrift“ werden aktuelle
Erlebnisse mit frühen, prägenden Erfahrungen verknüpft und zu symbolischen Sta-
tionen im persönlichen Lebensweg gemacht. Hal Foster greift die psychoanalytische
Traumatheorie auf und überträgt sie auf die Innovationsprozesse der Nachkriegs-
kunst. So untersucht er die Bedeutung von Marcel Duchamp für die Kunst seit den
 
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