104 | ÖFFENTLICHE VERANSTALTUNGEN
ANSPRACHE DES PRÄSIDENTEN DER HEIDELBERGER AKADEMIE DER
WISSENSCHAFTEN GISBERT FREIHERRN ZU PUTL1TZ
Sehr verehrte, hebe Frau Gadamer!
Liebe Familie Gadamer!
Magnifizenz!
Herr Ministerpräsident!
Herr Kollege Dernda!
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren!
Wir gedenken heute unseres großen Heidelberger Philosophen Hans-Georg Gada-
mer, der von 1950 an, unmittelbar nach seiner Berufung nach Heidelberg, Mitglied
der Heidelberger Akademie der Wissenschaften war. Mehr als em halbes Jahrhundert,
mehr auch als die Hälfte der Zeit, die diese Akademie existiert, war er unser Mit-
glied. Kollegen in der Philosophisch-historischen Klasse der Akademie sahen damals
in seiner sofortigen Aufnahme eine unabdingbare Notwendigkeit im Interesse der
gesamten Akademie. Wie wahr diese Einschätzung war, hat sich in den mehr als fünf-
zig Jahren der Mitgliedschaft von Hans-Georg Gadamer für mehrere Generationen
von Wissenschaftlern in der Akademie nicht nur im Bereich der philosophisch-histo-
rischen Wissenschaften, sondern ebenso der Naturwissenschaften immer wieder
offenbart.
Gadamer hat das Leben der Akademie entscheidend geprägt. Schon in seiner
Antrittsrede wurde die Breite des philosophischen Ansatzes von Gadamer deutlich.
Philosophie und Geschichte, die Anschauungskraft der Sprache, die Probleme der
Dialektik waren seine Forschungsthemen, denn (ich zitiere) „Der Philosoph muß
unter den Mitteln der Interpretation vor allem das eine zum Einsatz bringen, das im
eigenen Sachverhältnis und Sachverständnis gelegen ist. Für den Philosophen geht es
ja im Verstehen des Verstandenen stets um sein eigenes Selbstverständnis“. Gadamer
sagte damals, daß er hoffe, aus vielen verstreuten und praktischen theoretischen Ver-
suchen am Ende einmal eine Theorie der Hermeneutik entwickeln zu können, die
das hermeneutische Problem in den größeren Zusammenhang einer geschichtsphi-
losophischen Fragestellung rückt. Kaum ein Jahrzehnt später legte er als Ergebnis sol-
chen Denkens den Band „Wahrheit und Methode“ vor.
Mehrere große Vorträge, die Gadamer in den Jahren von 1963 bis 1984 in der
Akademie gehalten hat, befaßten sich mit dem Denken der Griechen und insbeson-
dere mit Aristoteles und Plato. Die Themen „Gott und Sein im Denken der Grie-
chen“, „Die Idee des Guten zwischen Plato und Aristoteles“, „Aristoteles’ Kritik an
Plato’s Idee des Guten“ und „Plato und Heraklit“ zeigen, wie intensiv sich Gadamer
mit dem Denken der griechischen Philosophen auseinandergesetzt hat.
Sein besonderes Interesse galt auch den Werken von Cusanus, dem Nikolaus von
Kues, dessen nachgelassene Schriften und Briefe von einer Arbeitsstelle der Heidelber-
ger Akademie der Wissenschaften ediert werden, begleitet von einer Kommission,
deren Vorsitzender von 1951 bis 1977 Gadamer war, also Sechsundzwanzig jahre lang.
Von 1968 bis 1972 war Gadamer Präsident der Heidelberger Akademie der
Wissenschaften. Es war eine schwierige und bedrückende Zeit, in der die Werte aka-
ANSPRACHE DES PRÄSIDENTEN DER HEIDELBERGER AKADEMIE DER
WISSENSCHAFTEN GISBERT FREIHERRN ZU PUTL1TZ
Sehr verehrte, hebe Frau Gadamer!
Liebe Familie Gadamer!
Magnifizenz!
Herr Ministerpräsident!
Herr Kollege Dernda!
Meine sehr verehrten Damen, meine Herren!
Wir gedenken heute unseres großen Heidelberger Philosophen Hans-Georg Gada-
mer, der von 1950 an, unmittelbar nach seiner Berufung nach Heidelberg, Mitglied
der Heidelberger Akademie der Wissenschaften war. Mehr als em halbes Jahrhundert,
mehr auch als die Hälfte der Zeit, die diese Akademie existiert, war er unser Mit-
glied. Kollegen in der Philosophisch-historischen Klasse der Akademie sahen damals
in seiner sofortigen Aufnahme eine unabdingbare Notwendigkeit im Interesse der
gesamten Akademie. Wie wahr diese Einschätzung war, hat sich in den mehr als fünf-
zig Jahren der Mitgliedschaft von Hans-Georg Gadamer für mehrere Generationen
von Wissenschaftlern in der Akademie nicht nur im Bereich der philosophisch-histo-
rischen Wissenschaften, sondern ebenso der Naturwissenschaften immer wieder
offenbart.
Gadamer hat das Leben der Akademie entscheidend geprägt. Schon in seiner
Antrittsrede wurde die Breite des philosophischen Ansatzes von Gadamer deutlich.
Philosophie und Geschichte, die Anschauungskraft der Sprache, die Probleme der
Dialektik waren seine Forschungsthemen, denn (ich zitiere) „Der Philosoph muß
unter den Mitteln der Interpretation vor allem das eine zum Einsatz bringen, das im
eigenen Sachverhältnis und Sachverständnis gelegen ist. Für den Philosophen geht es
ja im Verstehen des Verstandenen stets um sein eigenes Selbstverständnis“. Gadamer
sagte damals, daß er hoffe, aus vielen verstreuten und praktischen theoretischen Ver-
suchen am Ende einmal eine Theorie der Hermeneutik entwickeln zu können, die
das hermeneutische Problem in den größeren Zusammenhang einer geschichtsphi-
losophischen Fragestellung rückt. Kaum ein Jahrzehnt später legte er als Ergebnis sol-
chen Denkens den Band „Wahrheit und Methode“ vor.
Mehrere große Vorträge, die Gadamer in den Jahren von 1963 bis 1984 in der
Akademie gehalten hat, befaßten sich mit dem Denken der Griechen und insbeson-
dere mit Aristoteles und Plato. Die Themen „Gott und Sein im Denken der Grie-
chen“, „Die Idee des Guten zwischen Plato und Aristoteles“, „Aristoteles’ Kritik an
Plato’s Idee des Guten“ und „Plato und Heraklit“ zeigen, wie intensiv sich Gadamer
mit dem Denken der griechischen Philosophen auseinandergesetzt hat.
Sein besonderes Interesse galt auch den Werken von Cusanus, dem Nikolaus von
Kues, dessen nachgelassene Schriften und Briefe von einer Arbeitsstelle der Heidelber-
ger Akademie der Wissenschaften ediert werden, begleitet von einer Kommission,
deren Vorsitzender von 1951 bis 1977 Gadamer war, also Sechsundzwanzig jahre lang.
Von 1968 bis 1972 war Gadamer Präsident der Heidelberger Akademie der
Wissenschaften. Es war eine schwierige und bedrückende Zeit, in der die Werte aka-