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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2003 — 2004

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I. Das Geschäftsjahr 2003
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Antrittsreden
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Theißen, Gerd: Antrittsrede vom 12. Juli 2003
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https://doi.org/10.11588/diglit.67592#0136
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ANTRITTSREDEN

paar Studien ab, um meine Schubladen zu lehren, und nahm nach fünfjähriger
Assistentenzeit mein Germanistikstudium wieder auf. Wir hatten dafür gespart. Nach
Abschluss des neuen Studiums 1975 unterrichtete ich Religion und Deutsch an
Gymnasien. Ich war gerne Lehrer.
Meine wissenschaftlichen Arbeiten wurden inzwischen positiver aufgenom-
men, als ich je erwartet hatte. Ich wurde primo loco für eine Professur in Kiel vor-
geschlagen. Die Berufung scheiterte 1976 am Einspruch der dortigen Kirche. Der
Listenplatz war trotzdem eine Empfehlung. Etwas später erhielt ich fast gleichzeitig
eine Einladung zu einer Gastprofessur an dieVanderbuilt University in den USA und
einen Ruf an die Universität Kopenhagen. Ich hatte zehn Wochen Zeit bis zu mei-
ner ersten Vorlesung, um Dänisch zu lernen. Noch heute bin ich stolz darauf, dass
ich es geschafft habe. Das war auch gut so. Denn em Literaturwissenschaftler, Kolle-
ge an der Universität, schrieb Artikel gegen meine Berufung mit der populistischen
These, man könne nur in der Muttersprache Theologie unterrichten, da nur die
Muttersprache das Herz der Menschen erreiche. Ein Deutscher könne allenfalls für
einen astronomischen, nicht aber für einen theologischen Lehrstuhl in Kopenhagen
qualifiziert sein. Ich muss hinzufügen: Im Allgemeinen wird man in Dänemark mit
weit mehr Offenheit begrüßt. Manchmal war es aber schwer klar zu machen, dass
bei meiner gescheiterten Berufung in Deutschland der Radikalenerlass keine Rolle
gespielt hatte. Ich musste hm und wieder unverdiente Sympathiegewinne
zurechtrücken.
1980 erhielt ich einen Ruf nach Heidelberg. Mein Weggang nach nur zwei
Jahren hat in Dänemark nicht nur Zustimmung gefunden. Es liegt em bisschen Ver-
söhnung dann, dass mich die Universität Aarhus zu ihrem 75jährigen Jubiläum in
diesem Jahr als Ehrengast eingeladen hat.Versöhnung lag damals aber auch darin, dass
die Badische Landeskirche meine Berufung nach Heidelberg nachdrücklich befür-
wortet hat.
In meinen wissenschaftlichen Arbeiten zum Neuen Testament habe ich meine
ursprünglichen Studienwünsche verwirklicht: Literaturwissenschaft, Soziologie und
Psychologie. Gerade so konnte ich einige neue Impulse geben. Der Widerstand mei-
nes Vaters gegen meine Studienpläne hatte insofern auch etwas Gutes.
Exegese gehört natürlich zur Literaturwissenschaft. Meine Arbeiten führen hier
die Arbeit meines Lehrers Philipp Vielhauer an einer „Literaturgeschichte des
Urchristentums“ fort.
Es gibt in meinen Arbeiten relativ viel Soziologie. In einem kleinen Büchlein
„Soziologie der Jesusbewegung“ (1977) interpretierte ich z.B. den urchristlichen Wan-
derradikalismus als Ausdruck einer Krise in der jüdisch-palästinischen Gesellschaft.
Es gibt in meinen Arbeiten manchmal auch ein wenig Psychologie. Anfang der
80er Jahre veröffentlichte ich ein Buch über „Psychologische Aspekte paulinischer
Theologie“. Dabei profitierte ich von der „kognitiven Wende“ in der Psychologie,
die das aufwertet, was Exegeten interessiert: die Interpretationen, mit denen Men-
schen ihre Welt und sich selbst deuten. Meiner Frau, einer Verhaltenstherapeutin, ver-
danke ich eine gewisse Skepsis gegenüber tiefenpsychologischen Ansätzen, die in den
Geisteswissenschaften meist vorherrschen.
 
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