Das WIN-Kolleg | 299
chen Selbstabschaffung oder Selbstaufhebung der Staaten kommt. Demnach wird
die Europäische Gemeinschaft den Fortbestand der Staatlichkeit der Mitgliedstaa-
ten sowie deren Verfassungen stets als „natürliche“ Voraussetzung haben.
2) Ferner kann kaum zweifelhaft sein, dass die Europäische Gemeinschaft ihre gegen-
wärtigen und zukünftigen Aufgaben nur wirksam erfüllen kann, wenn sie dezen-
tralisiert (föderativ) aufgebaut ist und ihre Gemeinschaftstätigkeit der Tendenz nach
auf das beschränkt, was tatsächlich einheitlicher Regelungen durch die Gemein-
schaft bedarf.
3) Die Verfassung eines EU-Mitgliedstaates muss die durch das europäische Recht
gezogenen Grenzen einzelstaatlicher Regelungsfreiheit respektieren. Das heißt
auch, dass bei der Auslegung einzelstaatlicher Verfassungen berücksichtigt werden
muss, dass die fraglichen Verfassungsinhalte gemäß ihrer Verschränkung mit der
europäischen Gemeinschaftsordnung von letzterer mitbestimmt sind. Hiervon
unberührt bleibt die rechtspolitische Bedeutung der einzelstaatlichen Verfassungen
im europäischen Einigungsprozess. Mitgliedstaatliche Verfassungen stehen zur
europäischen Gemeinschaftsordnung in einem Verhältnis wechselseitiger Bedingt-
heit und Einflussnahme. Dieses Verhältnis ist dazu angetan, zu einer fortschreiten-
den Konkordanz von nationalem Staats- und supranationalem Europarecht zu
führen.
4) Schließlich bleiben mit dem Bestand der jeweiligen nationalen Einheit der Mit-
gliedstaaten auch die Grundlagen dieser Einheit vorausgesetzt. Diese Grundlagen
sind: politische Einheitsbildung und staatliches Wirken im Rahmen der Ordnung
der Verfassung, ferner der Bestand der nationalen Rechtsordnung. Auch mit einer
möglichen weiteren Entsouveränisierung des Nationalstaates würde die Bedeu-
tung der Verfassung, deren Gegenstand die genannten Grundlagen sind, nicht
grundsätzlich in Frage gestellt.
Von den aufgeführten Grundhinsichten abgesehen, bleibt der Staat im Zusammen-
hang des europäischen Mehrebenensystems politischer Entscheidungsfindung und
Entscheidungsdurchsetzung auch noch in spezifischerer Bedeutung und Funktion
relevant. Das wird offensichtlich, wenn man den empirischen Befund, dass immer
mehr öffentlich-rechtliche Regelungs- und Gestaltungs/ünfetionen nationaler Zustän-
digkeit entzogen sind oder werden, nüchtern interpretiert. Sofern man dies tut, zeigt
sich nämlich, dass man es hier mit einem überwiegend quantitativen, weniger mit
einem qualitativen Befund über die Verschiebung der Ausübungsrechte staatlicher
Kompetenzen auf die suprastaatliche Ebene zu tun hat.
Im Mittelpunkt der Projektarbeit steht in der nun beginnenden Arbeitsphase
der Zusammenhang von Demokratie und souveränem Staat. Geklärt werden soll
insbesondere, wie und inwieweit demokratische Legitimation in einem Mehrebe-
nensystem, das auch souveräne Staatswesen umfasst, gewährleistet werden kann.
Dazu bedarf es zunächst einer historischen, philosophischen und gegenwartsbezoge-
nen Analyse von Souveränität und Souveränitätsdoktrin. Anschließend wären die
Ergebnisse zu den oben dargestellten Legitimitätsressourcen in Beziehung zu
setzen.
chen Selbstabschaffung oder Selbstaufhebung der Staaten kommt. Demnach wird
die Europäische Gemeinschaft den Fortbestand der Staatlichkeit der Mitgliedstaa-
ten sowie deren Verfassungen stets als „natürliche“ Voraussetzung haben.
2) Ferner kann kaum zweifelhaft sein, dass die Europäische Gemeinschaft ihre gegen-
wärtigen und zukünftigen Aufgaben nur wirksam erfüllen kann, wenn sie dezen-
tralisiert (föderativ) aufgebaut ist und ihre Gemeinschaftstätigkeit der Tendenz nach
auf das beschränkt, was tatsächlich einheitlicher Regelungen durch die Gemein-
schaft bedarf.
3) Die Verfassung eines EU-Mitgliedstaates muss die durch das europäische Recht
gezogenen Grenzen einzelstaatlicher Regelungsfreiheit respektieren. Das heißt
auch, dass bei der Auslegung einzelstaatlicher Verfassungen berücksichtigt werden
muss, dass die fraglichen Verfassungsinhalte gemäß ihrer Verschränkung mit der
europäischen Gemeinschaftsordnung von letzterer mitbestimmt sind. Hiervon
unberührt bleibt die rechtspolitische Bedeutung der einzelstaatlichen Verfassungen
im europäischen Einigungsprozess. Mitgliedstaatliche Verfassungen stehen zur
europäischen Gemeinschaftsordnung in einem Verhältnis wechselseitiger Bedingt-
heit und Einflussnahme. Dieses Verhältnis ist dazu angetan, zu einer fortschreiten-
den Konkordanz von nationalem Staats- und supranationalem Europarecht zu
führen.
4) Schließlich bleiben mit dem Bestand der jeweiligen nationalen Einheit der Mit-
gliedstaaten auch die Grundlagen dieser Einheit vorausgesetzt. Diese Grundlagen
sind: politische Einheitsbildung und staatliches Wirken im Rahmen der Ordnung
der Verfassung, ferner der Bestand der nationalen Rechtsordnung. Auch mit einer
möglichen weiteren Entsouveränisierung des Nationalstaates würde die Bedeu-
tung der Verfassung, deren Gegenstand die genannten Grundlagen sind, nicht
grundsätzlich in Frage gestellt.
Von den aufgeführten Grundhinsichten abgesehen, bleibt der Staat im Zusammen-
hang des europäischen Mehrebenensystems politischer Entscheidungsfindung und
Entscheidungsdurchsetzung auch noch in spezifischerer Bedeutung und Funktion
relevant. Das wird offensichtlich, wenn man den empirischen Befund, dass immer
mehr öffentlich-rechtliche Regelungs- und Gestaltungs/ünfetionen nationaler Zustän-
digkeit entzogen sind oder werden, nüchtern interpretiert. Sofern man dies tut, zeigt
sich nämlich, dass man es hier mit einem überwiegend quantitativen, weniger mit
einem qualitativen Befund über die Verschiebung der Ausübungsrechte staatlicher
Kompetenzen auf die suprastaatliche Ebene zu tun hat.
Im Mittelpunkt der Projektarbeit steht in der nun beginnenden Arbeitsphase
der Zusammenhang von Demokratie und souveränem Staat. Geklärt werden soll
insbesondere, wie und inwieweit demokratische Legitimation in einem Mehrebe-
nensystem, das auch souveräne Staatswesen umfasst, gewährleistet werden kann.
Dazu bedarf es zunächst einer historischen, philosophischen und gegenwartsbezoge-
nen Analyse von Souveränität und Souveränitätsdoktrin. Anschließend wären die
Ergebnisse zu den oben dargestellten Legitimitätsressourcen in Beziehung zu
setzen.