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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0033
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Die Hölle im Menschen I 29

das in Erinnerung ruft, was diesem als strafwürdig erscheint. Ein solcher
Mensch erfährt den Spruch des künftigen Endgerichts zu allen Zeiten seines
Lebens; er erleidet die höllischen Qualen im Hier und Jetzt, weil ihm sein Ge-
wissen diese beständig vor Augen führt.
Einer von Abaelards entschiedensten Gegnern, Abt Bernhard von Clair-
vaux (f 1153), stand ihm in Bezug auf das Bild von Hölle und Gewissen gar nicht
fern: Nicht nur hielt er sich mit Äußerungen zu einer realen und lokalisierbaren
Hölle überhaupt erstaunlich zurück; innerhalb seines Predigtzyklus zum Fest
Mariä Himmelfahrt bemerkte er ganz im Sinne Abaelards, dass „die Hölle und
der Kerker der Seele das schuldige Gewissen ist.“52 Eine vergleichbare Analogi-
sierung jener Schmerzen, die das Gewissen dem Menschen bereitet, mit der
Hölle findet sich auch bei Bernhards Ordensbruder, dem Zisterzienser Alanus
ab Insulis (J 1202), der die dritte der von ihm beschriebenen vier Höllen als Ort
jener Qualen identifizierte, die der Wurm des Gewissens verursacht.53
Dass das Gewissen selbst den Menschen quälte, wurde seit dem 12. Jahrhun-
dert intensiv diskutiert; eine ganze Reihe von Texten legte hiervon eindrucks-
voll Zeugnis ab: Neben den bereits erwähnten ist insbesondere auf den Benedik-
tiner und nachmaligen Bischof von Chartres, Petrus von Celle (f 1183) hinzu-
weisen. Ihm zufolge konnte das Gewissen eines Menschen hauptsächlich vier
Formen annehmen: Neben einem Gewissen der Weltleute und einem der Mön-
che kannte Petrus auch ein himmlisches und ein höllisches Gewissen.54 Das Ge-
wissen selbst wurde damit klar als Ort höchster Freude, aber auch schrecklichs-
ter Qual im Menschen beschrieben. Es klagte den Menschen tagtäglich an und
hielt ihm seine Sünden vor, war in den pseudobernhardischen Meditationen
oder dem „Traktat vom inneren Haus“ zu lesen.55 Wie die Zahl der bekannten
Textzeugen nahelegt, fanden diese Werke enorme Verbreitung.56 Sie bereiteten
52 [...] infernus quidam et carcer animae rea conscientia est., Bernhard von Clairvaux, In
Assumptione sermo 4.4, bezugnehmend auf ebd. 2.4, in: Ders., Sämtliche Werke, ed. Ger-
hard B. Winkler, 10 Bde., Innsbruck 1990-99, Bd. 8, S. 538, 564.
53 Huie Inferno non deest conscientie vermis quo vexatur animus peccatoris., Alain de Lille,
Facilius descensus Averni, in: Marie-Therese D’Alverni, Variations sur un theme de Virgile
dans un sermon d’Alain de Lille, in: Raymond Chevallier (Hg.), Melanges d’Archeologie
et d’Histoire offerts ä Andre Piganiol, Bd. 3, Paris: Ecole Pratique des Hautes Etudes 1966,
S. 1517-1528, hier S. 1525; zur Verbindung von Gewissen und Fegefeuer noch bei Johannes
Tauler (f 1361) oder Marquard von Lindau (f 1392) vgl. Uta Störmer Caysa, Gewissen und
Buch. Über den Weg eines Begriffes in die deutsche Literatur des Mittelalters (Quellen und
Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 14), Berlin 1998, S. 280f.
54 Vgl hierzu meine Studie, Vier Arten des Gewissens (wie Anm. 10), S. 47-49.
55 Vgl. Meditationes piissimae (wie Anm. 40), cap. XI (32); De interiori domo (wie Anm. 14),
cap. XVIII (30).
56 Vgl. Giraud, Spintualite (wie Anm. 6), S. 155—170 und passim und meine Studie, Vier Arten
des Gewissens (wie Anm. 10), s.v.
 
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