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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0034
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30 I Mirko Breitenstein

den Boden einer seit dem 14. Jahrhundert zunehmend intensivierten Frömmig-
keit weiter Kreise - einer Frömmigkeit, die jedoch nicht selten auch mit erheb-
lichen Zweifel am eigenen Heilsstatus einherging.
Gerade Religiöse, die gehalten waren, sich täglich selbst in ihrem geistlichen
Fortschritt zu prüfen, fanden diesen wohl nur selten im erhofften Maße ver-
wirklicht, da eben dieses Maß seine Orientierung - wie dargestellt - stets in
einem Mehr, implus ultra, fand. Beim Blick in sich und das eigene Gewissen als
das Leitinstrument jeder Selbsterkenntnis wurde denen, die sich die Vollkom-
menheit zum Ziel gesetzt hatten, ihr Ungenügen offenbar - sie lasen in sich
selbst vom eigenen Scheitern. Ein Gefühl der Ausweglosigkeit musste alles
überwölben und neben der verheißenen nahen Gnade Gottes drohte beständig
dessen gerechter Zorn.57 Martin Luther, der diesen Kampf über viele Jahre in
sich austrug, meinte rückblickend, dass ein Jeglicher die Hölle so lange in sich
trage, wie er Gottes Zorn spüre.58 So wie ein gutes Gewissen das Paradies sei,
wäre, so Luther, auch das böse Gewissen die Hölle, denn ein solches böses Ge-
wissen vermittele dem Menschen nichts anderes als die Qualen der Hölle.59
Ausdrücklich bezeichnet er die nach dem Partikulargericht empfundenen
Schmerzen des reichen Prassers aus der Lazarus-Parabel als reine Gewissens-
qualen.60 Die Parallele zu Abelard ist unverkennbar. Überhaupt ist Luther ge-
rade in seinen Auffassungen vom Gewissen stark in der monastischen Tradition
verwurzelt,61 die ja - wie angedeutet - eine hohe Affinität zu psychologisieren-
den Höllenvorstellungen aufweisen.
57 Zu den sich aus dieser Konstellation entwickelnden Dynamiken vgl. Berndt Hamm, Naher
Zorn und nahe Gnade: Luthers frühe Klosterjahre als Beginn seiner reformatorischen Neu-
orientierung, in: Christoph BuLTMANN/Volker LEPPiN/Andreas Lindner (Hgg.), Luther
und das monastische Erbe (SHR 39), Tübingen 2007, S. 111-151.
58 „Denn eyn iglicher hat seyne helle mit sich, wo er ist, so lange er die letzte nöten des todes
und gotts zorn fulet.“ Martin Luther, Der Prophet Jona ausgelegt, 1526, in: WA 19,
S. 225.28f.
59 „Denn ein böse gewissen ist die Helle selbs, und ein gut gewissen ist das Paradis und himmel-
reich.“ Martin Luther, Verantwortung der aufgelegten Aufruhr, 1533, in: WA 38, S. 113.7f.;
ähnlich formulierte er auch in seiner Genesisvorlesung der Jahre 1535-45: Ut enim secura
mens quasi iuge convivium est [...] ita animus aeger ac sibi male conscius semper est lugis in-
fernus, qui nihil aliud erit, quam ipsa conscientia mala., Martin Luther, Genesisvorlesung
(1535-45), in: WA 44, S. 617.627-630.
60 „Nain, es ist nichts leyblichs. Es geet alles also in dem gewissen zu.“ Martin Luther, Predig-
ten des Jahres 1523, n° 19, WA 12, S. 596.12f.; vgl. auch Martin Luther, Predigten des Jahres
1522, n° 33, in: WA 10.III, S. 192f.
61 Vgl. meine Studie The influence of Bernard of Clairvaux for the Subject of Conscience in
Martin Luther, in: Lutero 500 anni dopo. Una rilettura della Riforma luterana nel suo con-
testo storico ed ecclesiale. Raccolta di Studi in occasione del V centenario (1517-2017), a cura
di Gert Melville/Joscp Ignasi Saranyana Closa (Atti e Documenti 51), Citta del Vatica-
no 2019, S. 91-114.
 
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