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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0035
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Die Hölle im Menschen I 31

Insofern er seine durch klösterliche Erziehung gewonnene mystische Prägung
auch in späteren Schriften nie ganz verleugnete,62 kommt Luther in Bezug auf den
Zusammenfall von Hölle und Gewissen eine Scharnierfunktion zu. Seine Formu-
lierungen werden selbst wieder zu Referenzen jener, die eine real-räumliche Exis-
tenz der Hölle, ja überhaupt ein göttliches Strafgericht vehement bestreiten: Mat-
thias Knutzen (fnach 1674), erster namentlich fassbarer Atheist der europäischen
Neuzeit, bezog sich in seinem Streit wider Gott und Teufel ausdrücklich auf Lu-
thers Widerspruch gegen eine reale Feuerhölle.63 Ähnlich argumentierte auch der
Täufer David Joris (f 1556), für den die Hölle einzig im Menschen, in seinem Ge-
wissen zu finden war: „Die Hölle ist nicht außerhalb des Menschen, sondern in
dem Menschen, in seinem innersten Fleisch und Gewissen, wo der Wurm nicht
stirbt noch das Feuer gelöscht wird.“64 Das Bild des Gewissenswurms erwies sich
in dieser Zeit überhaupt als besonders einflussreich.65
Nicht alle freilich formulierten dies mit solcher Vehemenz. Jeremias Drexel,
Jesuit und Prediger am Hof des bayerischen Herzogs Maximilian I. (f 1651),66
wusste zwar, dass das Gewissen den Menschen bereits während seines irdischen
Lebens in unvergleichlicher Weise quäle, betonte aber zugleich, dass dieses nur
der Vorgeschmack einer ewigen Bestrafung sei, in deren Rahmen die Qualen des
62 Vgl. Volker Leppin, Die fremde Reformation. Luthers mystische Wurzeln, München 2016.
63 Matthias Knutzen, Ein Gespräch zwischen einem Lateinischen Gastgeber/ und drey un-
gleicher Religions-Gästen [...], ediert in: Ders., Schriften, Dokumente, mit einer Einleitung
hg. von Winfried Schröder (Philosophische Clandestina der deutschen Aufklärung 1.5),
Stuttgart-Bad Cannstatt 2010, S. 52.; vgl. auch schon Heinz Dieter Kittsteiner, Die Entste-
hung des modernen Gewissens, Frankfurt am Main 1991, S. 117.
64 Zitiert nach Roland H. Bainton, David Joris. Wiedertäufer und Kämpfer für Toleranz im
16. Jahrhundert (Archiv für Reformationsgeschichte, Texte und Untersuchungen, Ergän-
zungsband 6), Leipzig 1937, S. 37f.
65 Der „Gewissenswurm“ begegnet als Lehnübersetzung des lateinischen vermis conscientiae
erstmals im 17. Jh., vgl. Lau, Vermis conscientiae (wie Anm. 35), S. 117; um nur auf einige Werke
hinzuweisen, die den Gewissenswurm bereits im Titel führen: Der Wurm des schlechten Ge-
wissens des Jesuiten Paul Zehentner, erschien 1633 zunächst auf Latein, später dann auch auf
Deutsch (Vermis malae conscientiae hominis impii domesticus carnifex suis coloribus adum-
bratus, München: Cornelius Leysser 1633); das 1672 publizierte Heft: Conscientia scelerum vin-
dex. Der nagende Wurm deß Gewissens/ in Constante dem Kayser [...], Dillingern Johann Fe-
derle 1672; ferner Johann Hülsemann, Calixtinischer Gewissens-Wurm/ aus seinen wider die
Evangelische/ von ihm selbst Eydlich beschworne/ aber Schändlich verlassene und Verlästerte
Warheit [...] Leipzig: Thimotheus Ritzschen 1653; sowie der kontroverstheologische: Gewis-
sens-Wurm eines unbekannten Jesuiten mit den Initialen I. B. P. (Gewissens-Wurm/ Das ist:
Auß Göttlich-Heiliger Schrift gründlich- und offenbahre Auslegungen [...], Augsburg: Mathias
Wolf 1732); auf weitere Beispiele verweist Berns, Höllenmeditation (wie Anm. 2), S. 153.
66 Drexel zählte zu den verbreitetsten Autoren des 17. Jahrhunderts; vgl. die knappe Übersicht
seiner Schriften bei Karl Pörnbacher, Jeremias Drexel. Leben und Werk eines Barockpre-
digers (Beiträge zur altbayrischen Kirchengeschichte 24.2), München 1965, S. 66-126; eine
Übersicht der Druckausgaben bei Gerhard Dünnhaupt, Personalbibliographien zu den
Drucken des Barock, Bd. 2, Stuttgart 1990, S. 1369-1418.
 
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