38 I Eva Schlotheuber
krönen erst im 12. Jahrhundert als sichtbares Zeichen ihres besonderen „Stan-
des“ aufkommen und als Signum der Christusnähe nun einen wesentlichen
Bestandteil des Selbstverständnisses verkörperten.10 Das Ritual der Jungfrauen-
weihe war dem weltlichen Hochzeitsritual nachempfunden, wobei der Bischof
in der Zeremonie als Stellvertreter des Bräutigams Christus fungierte. Der mit
der Stellung der sponsa Christi verbundene unmittelbare Zugang zum himmli-
schen Herrscher war dabei durchaus vergleichbar mit der Stellung der weltlichen
Königin als Intervenientin und „Ohr des Königs“ gedacht.11 Damit eröffnete
sich für die geistlichen Frauen ein besonderer Wissenszugang, denn sie standen
Christus, der Quelle aller Weisheit, in einer körperlich verstandenen Weise, nä-
her als alle übrigen Menschen.12 Bei entsprechender Lebensweise, nämlich der
Wahrung der Keuschheit und Abkehr von der Welt im Sinne der Imitatio
Christi, eröffnete sich den Nonnen ein besonderer Zugang zur sakralen Sphäre
und der Teilhabe an der Weisheit Christi. Dieser unmittelbare Gotteszugang
prädestinierte sie für ihre spezielle Aufgabe als Mittlerinnen zwischen Gott und
der Welt und war untrennbar mit ihrer vornehmsten Aufgabe, dem Lob Gottes,
also der Liturgie verbunden.
Als zweiten Weg verfügten die Nonnen über eine Autorität des Sprechens
und der Befehlsgewalt nach innen über das Amt.13 Das betraf natürlich in erster
Linie die Äbtissin oder Priorin, der die Ordnungsgewalt nach innen oblag, aber
auch das Amt der magistra, der die Unterweisung der zukünftigen Konvents-
mitglieder in der Klosterschule anvertraut war. Die mit dem Amt verbundene
Legitimierung einer Unterweisungs- und Aufsichtfunktion könnte man viel-
leicht als institutionelle Autorität bezeichnen. Im Folgenden soll es um den Wis-
sensbegriff der geistlichen Frauen gehen, der anhand von drei Aspekten be-
leuchtet werden soll: 1.) Die Rolle der Bildung im Selbst- und Fremdbild der
10 Vgl. dazu Eva Schlotheuber, Neue Grenzen und neue Möglichkeiten - religiöse Lebens-
entwürfe geistlicher Frauen in der Umbruchszeit des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Barbara
Stollberg-Rilinger (Hg.), Als Mann und Frau schuf er sie. Religion und Geschlecht
(Schriftenreihe des Exzellenzclusters Religion und Politik 7), Würzburg 2014, S. 87-107.
11 Vgl. Claudia Zey, Mächtige Frauen? Königinnen und Fürstinnen im europäischen Mittelalter
(11.-14. Jahrhundert) - Zur Einführung, in: Claudia Zey (Hg.), Mächtige Frauen?: Königin-
nen und Fürstinnen im europäischen Mittelalter (11.-14. Jahrhundert) (Vorträge und For-
schungen 81), Ostfildern 2015, S. 9-31.
12 Jeffrey HAMBURGER/Eva ScHLOTHEUBER/Susan MARTi/Margot Fassler, Liturgical Life
and Latin Learning at Paradies bei Soest, 1300-1425: Inscription and Illumination in the
Choir Books of a North German Dominican Convent, Münster 2017, Bd. 1, S. 51.
13 Christel Meier, Prophetische Inauguration und kirchliches Amt. Zur Funktion informeller
Autorisierungen in der mittelalterlichen Kirche bei Hildegard von Bingen, Rupert von Deutz
und Wilhelm von Saint-Thierry, in: Gerd AurHOFF/Helene Basu (Hgg.), Rituale der Amts-
einsetzung: Inaugurationen in verschiedenen Epochen, Kulturen, politischen Systemen und
Religionen, Würzburg 2015, S. 95-127.
krönen erst im 12. Jahrhundert als sichtbares Zeichen ihres besonderen „Stan-
des“ aufkommen und als Signum der Christusnähe nun einen wesentlichen
Bestandteil des Selbstverständnisses verkörperten.10 Das Ritual der Jungfrauen-
weihe war dem weltlichen Hochzeitsritual nachempfunden, wobei der Bischof
in der Zeremonie als Stellvertreter des Bräutigams Christus fungierte. Der mit
der Stellung der sponsa Christi verbundene unmittelbare Zugang zum himmli-
schen Herrscher war dabei durchaus vergleichbar mit der Stellung der weltlichen
Königin als Intervenientin und „Ohr des Königs“ gedacht.11 Damit eröffnete
sich für die geistlichen Frauen ein besonderer Wissenszugang, denn sie standen
Christus, der Quelle aller Weisheit, in einer körperlich verstandenen Weise, nä-
her als alle übrigen Menschen.12 Bei entsprechender Lebensweise, nämlich der
Wahrung der Keuschheit und Abkehr von der Welt im Sinne der Imitatio
Christi, eröffnete sich den Nonnen ein besonderer Zugang zur sakralen Sphäre
und der Teilhabe an der Weisheit Christi. Dieser unmittelbare Gotteszugang
prädestinierte sie für ihre spezielle Aufgabe als Mittlerinnen zwischen Gott und
der Welt und war untrennbar mit ihrer vornehmsten Aufgabe, dem Lob Gottes,
also der Liturgie verbunden.
Als zweiten Weg verfügten die Nonnen über eine Autorität des Sprechens
und der Befehlsgewalt nach innen über das Amt.13 Das betraf natürlich in erster
Linie die Äbtissin oder Priorin, der die Ordnungsgewalt nach innen oblag, aber
auch das Amt der magistra, der die Unterweisung der zukünftigen Konvents-
mitglieder in der Klosterschule anvertraut war. Die mit dem Amt verbundene
Legitimierung einer Unterweisungs- und Aufsichtfunktion könnte man viel-
leicht als institutionelle Autorität bezeichnen. Im Folgenden soll es um den Wis-
sensbegriff der geistlichen Frauen gehen, der anhand von drei Aspekten be-
leuchtet werden soll: 1.) Die Rolle der Bildung im Selbst- und Fremdbild der
10 Vgl. dazu Eva Schlotheuber, Neue Grenzen und neue Möglichkeiten - religiöse Lebens-
entwürfe geistlicher Frauen in der Umbruchszeit des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Barbara
Stollberg-Rilinger (Hg.), Als Mann und Frau schuf er sie. Religion und Geschlecht
(Schriftenreihe des Exzellenzclusters Religion und Politik 7), Würzburg 2014, S. 87-107.
11 Vgl. Claudia Zey, Mächtige Frauen? Königinnen und Fürstinnen im europäischen Mittelalter
(11.-14. Jahrhundert) - Zur Einführung, in: Claudia Zey (Hg.), Mächtige Frauen?: Königin-
nen und Fürstinnen im europäischen Mittelalter (11.-14. Jahrhundert) (Vorträge und For-
schungen 81), Ostfildern 2015, S. 9-31.
12 Jeffrey HAMBURGER/Eva ScHLOTHEUBER/Susan MARTi/Margot Fassler, Liturgical Life
and Latin Learning at Paradies bei Soest, 1300-1425: Inscription and Illumination in the
Choir Books of a North German Dominican Convent, Münster 2017, Bd. 1, S. 51.
13 Christel Meier, Prophetische Inauguration und kirchliches Amt. Zur Funktion informeller
Autorisierungen in der mittelalterlichen Kirche bei Hildegard von Bingen, Rupert von Deutz
und Wilhelm von Saint-Thierry, in: Gerd AurHOFF/Helene Basu (Hgg.), Rituale der Amts-
einsetzung: Inaugurationen in verschiedenen Epochen, Kulturen, politischen Systemen und
Religionen, Würzburg 2015, S. 95-127.