Metadaten

Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Editor]; Melville, Gert [Editor]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0085
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Autorität und Strahlkraft I 81

Ohne diese Heiligkeit implizierende Verankerung der Regeln in heiligen Ur-
sprüngen und heiligen Inhalten scheint eine Wirkmacht von historischer Trag-
weite von vornherein unmöglich. Regeln sind prospektiv auf die Sicherung von
basalen Bausteinen der jeweils zu entwerfenden forma vitae und ihrer Verhal-
tensstrukturen ausgerichtet. In ihrer Länge wie thematischen Gewichtung aber
bleiben sie dabei höchst divergent. Während die Regel des Pachomius (f 346)
ihren Fokus vor allem auf organisationstechnische Details legt oder diejenige
Columbans (f 615) eher spirituelle Leitlinien vorgibt, verbindet die immerhin
ganze 73 Kapitel umfassende Benediktsregel beide Momente in effektiver Weise.
Hierin werden prinzipiell alle Lebensbereiche systematisch abgedeckt, ähnlich
wie in der dreimal längeren, früheren Magisterregel oder den wirkmächtigen
Instituta des Cassian (f um 435).4 Auch die weit kürzeren Regeln des Franzis-
kus (f 1226) oder der Karmeliten versuchen, beide Bereiche anzusprechen. Sie
waren wie die Stephansregel funktional allein auf einen Orden zugeschnitten
und - von dessen spezifischer Mystik des Ursprungs beseelt - darum nicht mehr
übertragbar.5 Kurz ist auch die aufgrund ihrer Anciennität ehrwürdige Augus-
tinusregel. Ihre Strahlkraft beruhte auf einer praxisnahen Flexibilität, die sie für
Prämonstratenser, Augustinereremiten oder Dominikaner attraktiv machte.
Humbert von Romans (f 1277), der Generalmagister der Dominikaner, pries in
seiner Expositio in regulam diese geradezu zweckgebundene Offenheit der
Augustinusregel.6 Namentlich die niemals approbierten Regeln Augustins oder
Benedikts - wer hätte sie auch approbieren sollen - behielten jedenfalls ordens-
übergreifende Zugkraft.
Einer festgeformten Gattung sind Regeln nicht zugehörig, und bereits die
Frage, ob die Gewichtung nach spirituellen oder organisationstechnischen
Schwerpunkten einer spezifischen Regel Auswirkungen auf ihre Autorität und
im Speziellen ihre Wirkmacht erwarten lässt, ist kaum zu beantworten. Ei-
gentlich stellt sie sich auch nicht, standen die genannten Regeln doch niemals
allem. Consuetudines und Statuten ergänzten sie ebenso wie das paränetische
ten im Mittelalter, in: Cristina ANDENNA/Gert Melville (Hgg.), Regulae - Consuetudines -
Statuta. Studi sulle fonti normative degli ordini religiosi nei secoli centrali del Medioevo. Atti
del I e II Seminario internazionale di Studio del Centro italo-tedesco di storia comparata
degli ordini religiosi (Bari/Noci/Lecce, 26-27 ottobre 2002 / Castiglione delle Stiviere, 23-24
maggio 2003) (Vita regularis. Abhandlungen 25), Münster 2005, S. 29.
4 Zu einigen Punkten vgl. Gert Melville, Regeln (wie Anm. 3), S. 18f.
5 Vgl. ebd., S. 26f.
6 Vgl. dazu ebd., S. 26 und Florent CYGLER/Gert Melville, Augustinusregel und dominika-
nische Konstitutionen aus der Sicht Humberts de Romanis, in: Gert MELVILLE/Anne Mül-
ler (Hgg.), Regula Sancti Augustzni. Normative Grundlage differenter Verbände im Mittel-
alter (Publikationen der Akademie der Augustiner-Chorherren von Windesheim 3), Paring
2002, S. 437-451.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften