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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Editor]; Melville, Gert [Editor]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0116
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112 I Michael Hänchen und Gert Melville

La Charites von Cluny sowie die Einsetzung des neuen Priors bestätigten. Sie
rügten allerdings - und das beweist uns eindrücklich ein Bewusstsein für eine
geregelte Verfahrensführung - die Appellation an den französischen König als
Verfahrensfehler, da die erste Kommission dazu nicht befugt gewesen sei.50 Im
März des darauffolgenden Jahres versandte der Papst ein allgemeines Mahn-
schreiben an alle cluniazensischen Häuser, sie mögen sich jener Unruhen von
1212 stets eingedenk sein.51 1215 schreibt das Generalkapitel selbst die Abhän-
gigkeit La Charites unter Berufung auf das Gehorsamsrecht aller Priorate
fest,52 was am 3. Februar 1216 durch Papst Innozenz III. dergestalt konfirmiert
wurde, dass La Charite den Prior zwar selbständig einsetzen dürfe, aber dem
Abt von Cluny mit den Mönchen beider Klöster ein Beratungsrecht einräumen
müsse.53 Papst Honorius III. konfirmierte in einer Urkunde vom 15. Oktober
1216 diese Entscheidung.54
Es handelte sich um ein Verfahren, das zwar ebenfalls in stupender Ge-
schwindigkeit ablief, dem es aber - und wir greifen auf die analytischen Defi-
nitionen am Eingang des Beitrages zurück - in der Tat nur annäherungsweise
gelang, die Komplexität des Falles dergestalt zu reduzieren, dass eine Formali-
sierung der Sachverhalte erreicht wurde, welche einschlägigen Rechtsnormen
eindeutig subsumierbar waren, um im besten Fall über Routinehandlungen
gelöst zu werden. Denn der routinemäßige Verfahrensablauf wurde bereits
überschritten, als sich in ungewöhnlicher Weise der Abt von Cluny angesichts
der Schwere des Falles persönlich auf den Weg nach La Charite machte und
anschließend sogar das gesamte Generalkapitel nachziehen ließ. Vollends ging
die Verfahrensfestigkeit verloren, als aggressiv gegen den Abt vorgegangen und
damit körperliche Gewalt gegen die Macht des Rechts gesetzt wurde. Schließ-
lich brachen die systemischen Grenzen einer Verfahrensautonomie durch die
Hartnäckigkeit des weltlichen Schutzherrn zusammen. Und dennoch waren
die Führungsgremien der Cluniazenser letztendlich erfolgreich. Sie taten näm-
lich nichts anderes als in zwei Schritten eine neue Verfahrensebene zu errichten,
indem sie die eigene Verfahrensautonomie aufgaben und höhere Instanzen ein-
schalteten: zunächst offenkundig nahestehende Prälaten, dann über diese den
Papst. Daraufhin konnte ein mehr oder minder übliches investigatives Verfah-
ren der Kirche beginnen, dessen Grenzen nur einmal überschritten wurden,
als die päpstlicherseits eingesetzte Kommission sich an den französischen
50 Vgl. Bernard/Bruel, Recueil (wie Anm. 47), Nr. 4465.
51 Vgl. ebd., Nr. 4470.
52 Vgl. ebd., Nr. 4497.
53 Vgl. ebd., Nr. 4498.
54 Vgl. ebd., Nr. 4501.
 
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