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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Editor]; Melville, Gert [Editor]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0159
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Theorie für die Praxis I 155

habits und der wissenschaftlichen Gerätschaften zu verwenden. Der Ordens-
zugehörigkeit des Dargestellten kommt eine besondere Bedeutung im Bild-
arrangement zu. Sie war also für den Maler, vielleicht für die Rezeption der
Zeitgenossen oder sogar für das Selbstverständnis Paciolis besonders wichtig.
Der Porträtierte tritt hinter seiner Wissenschaft zurück und wird kaum als In-
dividuum, hingegen deutlich als Repräsentant eines monastischen Kollektivs,
seines Ordens, erkennbar. Vor allem wird er als geradezu idealtypische Figura-
tion des Klostergelehrten gezeigt.
Die Spannungen, wenn nicht Widersprüche, die sich hier auftun, reichen
noch weiter. Sie haben unmittelbar mit der innovativen Wirkung der Kloster-
kultur auf die umgebende Welt zu tun und betreffen die biographische Position
des einzelnen Klostergelehrten zwischen Kloster und Welt. Ein Zitat des italie-
nischen Ökonomen Antonio Pin von 1993/2010 macht es deutlich: „As a typical
clericus vagans, perhaps Pacioli could not stand stopping more than three years
in the same place; or perhaps he was obliged to make a compromise between the
restrictions of the Franciscan Order to which he belonged, and the gratifications
of the secular world in which he was to become a more and more successful
man“.25 Auch wenn Vorstellungen einer konsequenten monastischen stabilitas
loci für Mendikanten nicht gelten und sie grundsätzlich eine höhere Präsenz in
weltlichen Ordnungen zeigten als ältere Orden, so fällt doch die Biographie
Paciolis wegen seiner zahlreichen Wechsel in Professorenstellen, seiner intensi-
ven Kommunikation mit Gelehrten und Künstlern seiner Zeit sowie des breit
gestreuten Spektrums seiner intellektuellen Interessen auf.
Man wird in Pacioli und anderen, ähnlich renommierten monastischen Ge-
lehrten nicht einen austauschbaren Ordensmann sehen wollen, sondern eine ge-
lehrte, individuelle Persönlichkeit, die einerseits Ordensangehöriger war, ande-
rerseits am Leben der weltlichen Gesellschaft aktiv und gestaltend mitwirkte.
Pacioli fand über seine nachgefragte Expertise eine eigene, durch Anerkennung
seiner Kompetenz und soziale Geltung markierte Position in der Laiengesell-
schaft seiner Zeit. Das Ansehen als Ordensmann mag begünstigend gewirkt
haben, ausschlaggebend war es nicht. Insofern kann zwar analytisch von einer
Synergie zwischen der Anerkennung des Ordens- und des Expertenstatus’
gesprochen werden, biographisch aber wird die Situation komplexer zu bewer-
ten sein.26 Die gerade nicht ohne weiteres vermittelte Identität zwischen beiden
Zugehörigkeiten gibt ein Problem der Bewertung auf.
25 Pin, Contribution (wie Anm. 22), S. 165.
26 Vgl. Martin Kintzinger, Experientia lucrativa? Erfahrungswissen und Wissenserfahrung
im europäischen Mittelalter, in: Hedwig RöcKELEiN/Udo Friedrich (Hgg.), Experten der
Vormoderne zwischen Wissen und Erfahrung (Das Mittelalter 17), Berlin 2012, S. 95-117.
 
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