156 I Martin Kintzinger
2015 hat die Philosophin und Psychoanalytikerin Cynthia Fleury in einer
Abhandlung über „les irremplagables“ (die Unersetzbaren) auf den Wider-
spruch zwischen einer für die Gesellschaft problematischen, selbstbezogenen
Vereinzelung (individualisme) und der individuellen Eigenständigkeit (indivi-
duation) hingewiesen, deren es für eine funktionierende Gemeinschaft bedarf
und die die Einsicht in ihre unhintergehbare Ersetzbarkeit dennoch erträgt.27
In ihrem appellativen Ansatz versteht sich die Studie als Kritik der modernen
Gesellschaft; sie enthält zugleich einen für die historische Analyse nützlichen
Ansatz: Zwischen der auf Soziabilität - der Zugehörigkeit zu einem institutio-
nellen Kollektiv - und einer auf Individuation - der Selbstprägung in einer plu-
ralen Ordnung - orientierten Existenzform liegt eine kaum vermittelbare
Spannung. Für die historische Analyse der Lebens- und Wirkungsformen von
Angehörigen geistlicher Orden im Umfeld einer laikalen Gesellschaft ist damit
eine methodische Herausforderung bezeichnet. Sie stellt sich für die histori-
sche Mediävistik bei einer Untersuchung zu Klerikern am Fürstenhof insbe-
sondere dann, wenn diese dem Ordens- und nicht dem Säkularklerus und ins-
besondere den Mendikantenorden angehörten. Bischöfe als Ratgeber der
Fürsten seit dem Hochmittelalter stellen ein klassisches Beispiel dar. Jesuiten-
patres als Beichtväter repräsentieren eine für die Frühe Neuzeit geradezu als
typisch wahrgenommene Form dieser Existenz. Deren entwicklungsge-
schichtliche Vorgänger in der Funktion der geistlichen Vertrauten, Seelsorger
und Beichtiger an den europäischen Höfen des Spätmittelalters waren sehr
häufig Mendikanten, vor allem Dominikaner, mitunter auch Franziskaner.28
Als Prinzenerzieher nahmen Ordensmänner eine bedeutende Stellung am Hof
ein und blieben auch ihren zur Herrschaft gelangten einstigen Zöglingen oft
dauerhaft verbunden.
Als Historiographen oder Verfasser von Regimina principum vermochten
monastische Gelehrte das Selbstverständnis und die Memoria der Fürsten-
herrschaft maßgeblich zu prägen. In allen genannten und weiteren Funktions-
bereichen war die Zugehörigkeit der Betreffenden zu einem geistlichen Orden
ein für Nachfrage, Stellung und Wirkungsmöglichkeiten gewichtiger Faktor.
Entscheidend blieb aber die gelehrte Persönlichkeit, deren individuelle Gestal-
tung ihrer Aufgaben und der persönlichen Bindungen an die Angehörigen der
fürstlichen, verwandtschaftlichen Familie sowie der persönlichen Bindungen
innerhalb der Entourage und gefolgschaftlichen/kmz/zh. Soziabilität und Indi-
27 Cynthia Fleury, Les irrempla^ables, Paris 2015, S. 70-82, bes. S. 197-200.
28 Vgl. Martin Kintzinger, Viri religiosi et literati. Kleriker am Fürstenhof im späten Mittel-
alter. In: Franz-J. FELTEN/Nikolas Jaspert (Hgg.), Vita religiosa im Mittelalter. Festschrift
Kaspar Elm (Berliner Historische Studien 31. Ordensstudien 13), Berlin 1999, S. 543-562.
2015 hat die Philosophin und Psychoanalytikerin Cynthia Fleury in einer
Abhandlung über „les irremplagables“ (die Unersetzbaren) auf den Wider-
spruch zwischen einer für die Gesellschaft problematischen, selbstbezogenen
Vereinzelung (individualisme) und der individuellen Eigenständigkeit (indivi-
duation) hingewiesen, deren es für eine funktionierende Gemeinschaft bedarf
und die die Einsicht in ihre unhintergehbare Ersetzbarkeit dennoch erträgt.27
In ihrem appellativen Ansatz versteht sich die Studie als Kritik der modernen
Gesellschaft; sie enthält zugleich einen für die historische Analyse nützlichen
Ansatz: Zwischen der auf Soziabilität - der Zugehörigkeit zu einem institutio-
nellen Kollektiv - und einer auf Individuation - der Selbstprägung in einer plu-
ralen Ordnung - orientierten Existenzform liegt eine kaum vermittelbare
Spannung. Für die historische Analyse der Lebens- und Wirkungsformen von
Angehörigen geistlicher Orden im Umfeld einer laikalen Gesellschaft ist damit
eine methodische Herausforderung bezeichnet. Sie stellt sich für die histori-
sche Mediävistik bei einer Untersuchung zu Klerikern am Fürstenhof insbe-
sondere dann, wenn diese dem Ordens- und nicht dem Säkularklerus und ins-
besondere den Mendikantenorden angehörten. Bischöfe als Ratgeber der
Fürsten seit dem Hochmittelalter stellen ein klassisches Beispiel dar. Jesuiten-
patres als Beichtväter repräsentieren eine für die Frühe Neuzeit geradezu als
typisch wahrgenommene Form dieser Existenz. Deren entwicklungsge-
schichtliche Vorgänger in der Funktion der geistlichen Vertrauten, Seelsorger
und Beichtiger an den europäischen Höfen des Spätmittelalters waren sehr
häufig Mendikanten, vor allem Dominikaner, mitunter auch Franziskaner.28
Als Prinzenerzieher nahmen Ordensmänner eine bedeutende Stellung am Hof
ein und blieben auch ihren zur Herrschaft gelangten einstigen Zöglingen oft
dauerhaft verbunden.
Als Historiographen oder Verfasser von Regimina principum vermochten
monastische Gelehrte das Selbstverständnis und die Memoria der Fürsten-
herrschaft maßgeblich zu prägen. In allen genannten und weiteren Funktions-
bereichen war die Zugehörigkeit der Betreffenden zu einem geistlichen Orden
ein für Nachfrage, Stellung und Wirkungsmöglichkeiten gewichtiger Faktor.
Entscheidend blieb aber die gelehrte Persönlichkeit, deren individuelle Gestal-
tung ihrer Aufgaben und der persönlichen Bindungen an die Angehörigen der
fürstlichen, verwandtschaftlichen Familie sowie der persönlichen Bindungen
innerhalb der Entourage und gefolgschaftlichen/kmz/zh. Soziabilität und Indi-
27 Cynthia Fleury, Les irrempla^ables, Paris 2015, S. 70-82, bes. S. 197-200.
28 Vgl. Martin Kintzinger, Viri religiosi et literati. Kleriker am Fürstenhof im späten Mittel-
alter. In: Franz-J. FELTEN/Nikolas Jaspert (Hgg.), Vita religiosa im Mittelalter. Festschrift
Kaspar Elm (Berliner Historische Studien 31. Ordensstudien 13), Berlin 1999, S. 543-562.