Theorie für die Praxis I 161
nicht nur drei umfangreiche Schriften zur Konzeption des Kathedralbaus und
zur Finanzverwaltung verfasst hat,38 sondern eine Zusammenstellung von
Episoden aus dem Leben König Ludwigs VII.39 Weniger ein biographisches
Konzept zeigt sich darin, als vielmehr ein Ansatz zur Geschichte des König-
reichs, der heute als literarischer Text mit der Wirkung einer Matrix für die
späteren Grandes Chroniques de France verstanden wird („un veritable texte
litteraire, digne matrice d’oü sortiront bientöt Les Grandes Chroniques de
France“).40 41 In der von einem Mönch des Klosters St-Denis verfassten Biogra-
phie Sugers wird seine Bedeutung für das Königreich in imperialem Gestus
gefasst: totum Francorum illustraret imperiumF Im Kontext der hofnahen
Historiographie kann Suger als Vorläufer des Primat und dessen chronikali-
schen Werkes verstanden werden.
Bereits als Zeitgenosse Primats und ebenfalls als Mönch in St-Denis war mit
Wilhelm von Nangis der Verfasser einer Biographie der Könige Ludwigs IX.,
des Heiligen, und Philipps III. tätig.42 Er ging historiographisch noch weiter
und schloss mit einer Weltgeschichte an die Universalchronik seines Ordens-
bruders Sigebert von Gembloux aus dem frühen 12. Jahrhundert an. Das litera-
risch-narrative Konzept der Grandes Chroniques de France, die in den 1370er
und nochmals in den 1450er Jahren neu gestaltet und aufwendig illustriert wor-
den sind und in der europäischen Chronistik als historiographische Legitima-
tion von Dynastie, Königsherrschaft und Königreich singulär geblieben sind,
geht, wie erwähnt, auf die Anfänge der Geschichtsschreibung im Benediktiner-
kloster St-Denis zurück. Entwicklung und Gestaltung der Grandes Chro-
niques sind von dem Kloster und seinem scriptorium kaum zu trennen. Den-
noch sind deren Konzeptoren als gelehrte Einzelpersönlichkeiten anzusprechen,
deren Zugehörigkeit zum Kloster erst im unmittelbaren Konnex zu ihrer Hof-
und Königsnähe ihren besonderen Status erhielt und zu ihrer herausragenden
Wirkung fand.
38 Als Edition mit Übersetzung: Abt Suger von Saint-Denis. Ausgewählte Schriften: Ordina-
tio, De consecratione, De administratione, ed. Andreas SPEER/Günther Bindung, Darm-
stadt 32005.
39 Gasparri, Suger (wie Anm. 37), S. 83f.
40 Ebd.,S. 84.
41 Abt Suger (wie Anm. 38), S. 388-397, das Zitat S. 388, Zeile 2f.; Die zeitgenössische Histori-
ographie nahm zudem an einem Propagandastreit mit der Chronistik des angevinischen Kö-
nigshauses, insbesondere König Richards I. (Löwenherz), teil und dekonstruierte dessen
Mythos eines idealen Ritters zugunsten des eigenen kapetingischen Königtums: Dieter
Berg, Richard Löwenherz, Darmstadt 2007, S. 280.
42 Guillaume de Nangis, Meine de Saint-Denis, Chronique du regne de saint Louis 1226-1227,
ed. Yves Germain/Ehc de Bussac, Paris 2010. Guenee, Guesclin (wie Anm. 36), S. 158-164;
mit Ausführungen zur begrenzten Publizität der Werke Guillaumes, S. 163.
nicht nur drei umfangreiche Schriften zur Konzeption des Kathedralbaus und
zur Finanzverwaltung verfasst hat,38 sondern eine Zusammenstellung von
Episoden aus dem Leben König Ludwigs VII.39 Weniger ein biographisches
Konzept zeigt sich darin, als vielmehr ein Ansatz zur Geschichte des König-
reichs, der heute als literarischer Text mit der Wirkung einer Matrix für die
späteren Grandes Chroniques de France verstanden wird („un veritable texte
litteraire, digne matrice d’oü sortiront bientöt Les Grandes Chroniques de
France“).40 41 In der von einem Mönch des Klosters St-Denis verfassten Biogra-
phie Sugers wird seine Bedeutung für das Königreich in imperialem Gestus
gefasst: totum Francorum illustraret imperiumF Im Kontext der hofnahen
Historiographie kann Suger als Vorläufer des Primat und dessen chronikali-
schen Werkes verstanden werden.
Bereits als Zeitgenosse Primats und ebenfalls als Mönch in St-Denis war mit
Wilhelm von Nangis der Verfasser einer Biographie der Könige Ludwigs IX.,
des Heiligen, und Philipps III. tätig.42 Er ging historiographisch noch weiter
und schloss mit einer Weltgeschichte an die Universalchronik seines Ordens-
bruders Sigebert von Gembloux aus dem frühen 12. Jahrhundert an. Das litera-
risch-narrative Konzept der Grandes Chroniques de France, die in den 1370er
und nochmals in den 1450er Jahren neu gestaltet und aufwendig illustriert wor-
den sind und in der europäischen Chronistik als historiographische Legitima-
tion von Dynastie, Königsherrschaft und Königreich singulär geblieben sind,
geht, wie erwähnt, auf die Anfänge der Geschichtsschreibung im Benediktiner-
kloster St-Denis zurück. Entwicklung und Gestaltung der Grandes Chro-
niques sind von dem Kloster und seinem scriptorium kaum zu trennen. Den-
noch sind deren Konzeptoren als gelehrte Einzelpersönlichkeiten anzusprechen,
deren Zugehörigkeit zum Kloster erst im unmittelbaren Konnex zu ihrer Hof-
und Königsnähe ihren besonderen Status erhielt und zu ihrer herausragenden
Wirkung fand.
38 Als Edition mit Übersetzung: Abt Suger von Saint-Denis. Ausgewählte Schriften: Ordina-
tio, De consecratione, De administratione, ed. Andreas SPEER/Günther Bindung, Darm-
stadt 32005.
39 Gasparri, Suger (wie Anm. 37), S. 83f.
40 Ebd.,S. 84.
41 Abt Suger (wie Anm. 38), S. 388-397, das Zitat S. 388, Zeile 2f.; Die zeitgenössische Histori-
ographie nahm zudem an einem Propagandastreit mit der Chronistik des angevinischen Kö-
nigshauses, insbesondere König Richards I. (Löwenherz), teil und dekonstruierte dessen
Mythos eines idealen Ritters zugunsten des eigenen kapetingischen Königtums: Dieter
Berg, Richard Löwenherz, Darmstadt 2007, S. 280.
42 Guillaume de Nangis, Meine de Saint-Denis, Chronique du regne de saint Louis 1226-1227,
ed. Yves Germain/Ehc de Bussac, Paris 2010. Guenee, Guesclin (wie Anm. 36), S. 158-164;
mit Ausführungen zur begrenzten Publizität der Werke Guillaumes, S. 163.