Metadaten

Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Editor]; Melville, Gert [Editor]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0168
License: Free access  - all rights reserved

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
164 I Martin Kintzinger

seine wissenschaftstheoretischen Reflexionen zur Kontingenz bekannt.45 Sie alle
waren Angehörige des Franziskanerordens und gehörten zu einem international
kommunizierenden Kreis von Gelehrten, die zwischen den Universitäten Paris
und Oxford Diskurse über aktuelle wissenschaftliche Fragen mit (modern ge-
sprochen) gesellschaftspolitischer Relevanz austrugen.
Im Zusammenhang kontroverser Auslegungen der Werke des Thomas von
Aquin stritt man um das Verständnis des freien Willens, das Verhältnis von Volun-
tarismus und Intellektualismus, die Denkmöglichkeit von Kontingenz und Ent-
scheidungsfreiheit und um die Existenz von Universalien. Später, im Verlauf des
15. Jahrhunderts, entwickelte sich daraus der sogenannte Wegestreit zwischen No-
minalisten und Realisten. Im Einzelnen verliefen die Diskurse der Gelehrten, an-
ders als es zunächst scheinen mag, nicht im „Elfenbeinturm“. Was sie reflektierten,
waren in ihrer Zeit brisante Themen und ihre Schriften dazu generierten nicht nur
den gelehrten Diskurs, sondern wirkten impulsgebend auf die Gesellschaft ein. Sie
wurden als Ratgeber an den Höfen gehört, traten als Verfasser von Fürstenspiegeln
hervor, initiierten oder verstärkten Konfliktparteien jenseits des engeren wissen-
schaftlichen Streits. Fürstliche Gewalten, die der einen oder anderen Richtung im
Wegestreit zuneigten, entschlossen sich mitunter sogar, selbst einzugreifen und die
jeweils entgegengesetzte Richtung an den Universitäten ihrer Territorien zu ver-
bieten. Obwohl die Autoren ausschließlich wissenschaftliche Texte verfassten,
blieb ihr Diskurs kein Gelehrtenstreit, sondern fügte sich in weiterreichende Aus-
handlungsprozesse unterschiedlicher gesellschaftlicher Formationen ein.
Ein markantes Beispiel dafür war schließlich die Autorschaft eines Kreises
international renommierter Gelehrter aus dem Franziskanerorden im Umfeld
der politisch-polemischen Propaganda des deutschen König Ludwigs IV., des
Bayern, gegen das Papsttum in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.46 Nament-
45 Zur Abbildung: Wikipedia: Johannes Duns Scotus. Zuletzt aktualisiert am 24. August 2006.
URL: https://upload.wikimedia.Org/wikipedia/commons/l/16/JohnDunsScotus.jpg -
Download vom 24. Mai 2018; vgl. Martin Kintzinger, Libertas und Universitas. Alterität
und Aktualität einer Wissenschaftsgeschichte des Mittelalters, in: Thomas Brechenma-
cher/ Christoph Kampmann (Hgg.), Vorträge in der Sektion für Geschichte und der Gesell-
schaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum bei der Generalversammlung der Görres-
Gesellschaft 2013, „Kirche - Wissenschaft - Wissenschaftsfreiheit“ (Historisches Jahrbuch
der Görres-Gesellschaft 133), Freiburg/Br./München 2013, S. 9-33; Ders., Disputatio und
Duell. Akademische Streitkultur im ausgehenden Mittelalter, in: Thomas MAiSEL/Meta
NiEDERKORN-BRUCK/Christian GASTGEBER/Elisabeth Klecker (Hgg.), Artes - Artisten -
Wissenschaft. Die Universität Wien in Spätmittelalter und Humanismus (Smgularia Vindo-
bonensia 4), Wien 2015, S. 19-49.
46 S. hierzu ausführlich den Beitrag von Volker Leppin im vorliegenden Band; vgl. Gianluca
Briguglia, Le pouvoir mis ä la question. Theologiens et theorie politique ä l’epoque du
conflit entre Bomface VIII et Philippe le Bel (Histoire) (publication italienne, traduction
frangaise), Paris 2016.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften