Theorie für die Praxis I 175
standen historische, politische und herrschaftstheologische Texte im Zentrum,
die für die Legitimation der Krone Frankreichs sowie ihrer und ihrer Dynastie
Herrschaft nützlich waren.
Offenkundig nahm man am Hof eine funktionale Unterscheidung der für
diese anspruchsvolle Aufgabe infrage kommenden Personen vor. Im Kloster St-
Denis hatte sich ein Zentrum der symbolischen Repräsentation der Memoria des
französischen Königtums und ein Skriptorium der Hofchronistik entwickelt.
Die zu dessen exklusiver Fortführung erforderliche Kompetenz wurde den dor-
tigen Mönchen des Benediktinerordens weiterhin zugeschrieben.
Für die Übersetzung auktorialer Texte setzte man hingegen bevorzugt auf
Angehörige von Mendikantenorden. Sowohl die an der Chronistik arbeitenden
Benediktiner wie auch die Mendikanten, die sich mit den Texten zur politischen
Theorie befassten, wurden zu hochgradigen Experten für die Kunst der literari-
schen Übersetzung und deren Kommentierung. Beide reflektierten auf überset-
zungstechnische wie sprachlich-stilistische Anforderungen ihres Tuns. Insofern
sind beide Gruppen als „Chefideologen des Hofes“ für die „zentralen Traktate
der königlichen Herrschaftsprogrammatik“ anzusprechen, wie es Bernd Car-
que vorschlägt.65
Während die herausragende Bedeutung des Kloster St-Denis den Zugriff auf
die Gelehrten des dortigen Konvents naheliegend erscheinen lässt, ist die Erklä-
rung für den bevorzugten Rückgriff auf Mendikantengelehrte offener. Deren
bekannte Repräsentanten stammten nachweislich aus unterschiedlichen Regio-
nen und kirchlichen Institutionen. Was sie verband, war die Tatsache, dass die
Mendikantenorden in enger räumlicher Nähe zur Universität in Paris eigene
Häuser unterhielten und in ihren dortigen Institutionen der wissenschaftlichen
Studien eng mit der Universität vernetzt waren.66 Obwohl auch die Benediktiner
an der Universität präsent waren,67 konnten sie keine vergleichbare gelehrte Inf-
rastruktur bieten. Die persönliche wie institutionelle Vernetzung zwischen Or-
den, Universität und Hof scheint ein wesentliches Kriterium für die Personalaus-
wahl bei der Bestellung von Übersetzern für den Hof gewesen zu sein. Während
die Benediktinerschulen um und in Paris zweifellos hervorragende schulische
65 Carque, Stil (wie Anm. 51), S. 467, 480f.
66 Ausführlich hierzu jetzt: Andreas SoHN/Jacques Verger (Hgg.), Die regulierten Kollegien
im Europa des Mittelalters und der Renaissance. Les Colleges reguliers en Europe au Moyen
Age et ä la Renaissance (Aufbrüche 4), Bochum 2012.
67 Vgl. grundlegend Thomas Sullivan, Parisian Licentiates in Theology, A.D. 1373-1500, 1,
The Religious Orders (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 18), Lei-
den/Boston 2004; 2, The Secular Clergy (Education and Society in the Middle Ages and
Renaissance 37), Leiden/Boston 2011; hier 1, S. 400-407 (Namensliste der Graduierten mit
Angabe ihrer Ordenszugehörigkeit).
standen historische, politische und herrschaftstheologische Texte im Zentrum,
die für die Legitimation der Krone Frankreichs sowie ihrer und ihrer Dynastie
Herrschaft nützlich waren.
Offenkundig nahm man am Hof eine funktionale Unterscheidung der für
diese anspruchsvolle Aufgabe infrage kommenden Personen vor. Im Kloster St-
Denis hatte sich ein Zentrum der symbolischen Repräsentation der Memoria des
französischen Königtums und ein Skriptorium der Hofchronistik entwickelt.
Die zu dessen exklusiver Fortführung erforderliche Kompetenz wurde den dor-
tigen Mönchen des Benediktinerordens weiterhin zugeschrieben.
Für die Übersetzung auktorialer Texte setzte man hingegen bevorzugt auf
Angehörige von Mendikantenorden. Sowohl die an der Chronistik arbeitenden
Benediktiner wie auch die Mendikanten, die sich mit den Texten zur politischen
Theorie befassten, wurden zu hochgradigen Experten für die Kunst der literari-
schen Übersetzung und deren Kommentierung. Beide reflektierten auf überset-
zungstechnische wie sprachlich-stilistische Anforderungen ihres Tuns. Insofern
sind beide Gruppen als „Chefideologen des Hofes“ für die „zentralen Traktate
der königlichen Herrschaftsprogrammatik“ anzusprechen, wie es Bernd Car-
que vorschlägt.65
Während die herausragende Bedeutung des Kloster St-Denis den Zugriff auf
die Gelehrten des dortigen Konvents naheliegend erscheinen lässt, ist die Erklä-
rung für den bevorzugten Rückgriff auf Mendikantengelehrte offener. Deren
bekannte Repräsentanten stammten nachweislich aus unterschiedlichen Regio-
nen und kirchlichen Institutionen. Was sie verband, war die Tatsache, dass die
Mendikantenorden in enger räumlicher Nähe zur Universität in Paris eigene
Häuser unterhielten und in ihren dortigen Institutionen der wissenschaftlichen
Studien eng mit der Universität vernetzt waren.66 Obwohl auch die Benediktiner
an der Universität präsent waren,67 konnten sie keine vergleichbare gelehrte Inf-
rastruktur bieten. Die persönliche wie institutionelle Vernetzung zwischen Or-
den, Universität und Hof scheint ein wesentliches Kriterium für die Personalaus-
wahl bei der Bestellung von Übersetzern für den Hof gewesen zu sein. Während
die Benediktinerschulen um und in Paris zweifellos hervorragende schulische
65 Carque, Stil (wie Anm. 51), S. 467, 480f.
66 Ausführlich hierzu jetzt: Andreas SoHN/Jacques Verger (Hgg.), Die regulierten Kollegien
im Europa des Mittelalters und der Renaissance. Les Colleges reguliers en Europe au Moyen
Age et ä la Renaissance (Aufbrüche 4), Bochum 2012.
67 Vgl. grundlegend Thomas Sullivan, Parisian Licentiates in Theology, A.D. 1373-1500, 1,
The Religious Orders (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 18), Lei-
den/Boston 2004; 2, The Secular Clergy (Education and Society in the Middle Ages and
Renaissance 37), Leiden/Boston 2011; hier 1, S. 400-407 (Namensliste der Graduierten mit
Angabe ihrer Ordenszugehörigkeit).