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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Editor]; Melville, Gert [Editor]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0210
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206 I Regina D. Schiewer

sprachlichen Zeugnissen von Katechese und Predigt. Zunächst soll im Folgen-
den das Massenmedium des Mittelalters, die Predigt, in den Blick genommen
werden.20
Die Überlieferung volkssprachiger Predigten setzt im deutschsprachigen Ge-
biet in nennenswertem Umfang in der Mitte des 12. Jahrhunderts ein.21 Zur
sogenannten Frühen deutschen Predigt zählen über 900 Einzeltexte, die in
7 großen Sammlungen und ca. 80 Fragmenten teilweise mehrfach überliefert
sind. Die frühen deutschen Predigten waren als Musterpredigten für die Hand
des Seelsorgers gedacht und sind deshalb als Zyklen für das Kirchenjahr konzi-
piert. Ihre Überlieferung setzt sich zwar im 13. Jahrhundert fort, wird aber in
ihrer Wirkmacht nach und nach abgelöst von den großen Predigtsammlungen
der neu gegründeten Bettelorden.22
Bei der Suche nach den religiösen Gemeinschaften, die die Sammlungen der
Frühen deutschen Predigt hervorgebracht haben könnten, hat man sich lange
Zeit an dem einzigen, namentlich bekannten Kompilator einer der bedeutends-
ten Sammlungen dieser Predigten orientiert, nämlich an Priester Konrad. Kon-
rad bezeichnet sich im Vorwort zu seinem Predigtbuch als presbyter. Aufgrund
des in dieser Sammlung überlieferten, im Corpus der Frühen deutschen Predigt
einzigen Texts auf den heiligen Augustinus schloss man darauf, dass es sich
bei dem Kompilator um einen Augustinerchorherren handeln müsse, der das
20 Von der vielberufenen Volkspredigt der Hirsauer, von der uns der Hirsauer Chronist Bernold
von Konstanz berichtet und auf die sich vermutlich auch das berühmte Lorscher Spottge-
dicht bezieht, sind uns keine Texte überliefert, wenn man nicht die gereimte Bußpredigt
,Himmel und Hölle“, deren Zielgruppe Küsters im laikalen Adel vermutet, in diesen Kon-
text rechnen möchte (s. u.). Küsters’ Erläuterungen zum sozialgesellschaftlichen Gefüge des
ausgehenden 11. Jahrhunderts treffen jedoch sehr genau die Art von ,Kontexten“, die wir bei
den Bemühungen um eine Geschichte der Seelsorge zu berücksichtigen hätten. Da Primär-
zeugen fehlen, müssten hier neben Bernold weitere Sekundärbelege erschlossen werden, da-
mit die Erzählung von umherziehenden benediktinischen Wanderpredigern, die die Grego-
rianischen Reformen verbreiten, an Wahrscheinlichkeit und Schärfe gewinnt. Vgl. hierzu
Urban Küsters, Der verschlossene Garten. Volkssprachliche Hohelied-Auslegung und mo-
nastische Lebensform im 12. Jahrhundert (Studia humaniora 2), Düsseldorf 1985, S. 107-114.
21 Die Überlegungen zur Entstehung der frühen deutschsprachigen Predigtbücher im Kontext
der Hirsauer Reform habe ich erstmals und komprimiert geäußert in dem einleitenden Essay
zum 1. Band des Deutschen Literatur-Lexikons: Regina D. Schiewer, Das geistliche Schrift-
tum (wie Anm. 18), S. X-XXIII. Die neueste Überblicksdarstellung für die deutschsprachige
Predigt von den Anfängen bis Luther findet sich bei: Regina D. ScHiEWER/Hans-Jochen
Schiewer, Predigt im Spätmittelalter, in: Mechthild HABERMANN/Jörg MEIER/Alexander
ScHWARz/Franz SiMMLER/Claudia WiCH-REiF/Arne Ziegler (Hgg.), Textsorten und Tex-
tallianzen um 1500, Handbuch Teil 1, Literarische und religiöse Textsorten und Textallian-
zen um 1500 (Berliner Sprachwissenschaftliche Studien 20), Berlin 2009, S. 727—771.
22 Zu den Grundkonstituenten sowie den Lehrinhalten der Frühen deutschen Predigt vgl. Re-
gina D. Schiewer, Die deutsche Predigt um 1200. Ein Handbuch, Berlin 2008.
 
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