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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

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https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0246
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242 I Jean-Claude Schmitt

Christus verkündeten Wahrheit, zu den moralischen Werten und den von der
Schrift und den Aposteln gesetzten eschatologischen Zielen. Das von den Mön-
chen empfohlene Ideal der vita apostolica räumt Marias Kontemplation Platz ein,
aber auch Marthas aktivem Leben. Weil die Kirche „streitend“ sein will, gibt es
keinen Widerspruch zwischen der monastischen Berufung eines heiligen Bern-
hard und seinem Apostolat, der ihn zu vielen Reisen, zur Predigt gegen die Ket-
zer in Südfrankreich und im Rheinland oder zur öffentlichen Intervention bei
den Bischöfen, dem König oder dem Papst bewegt. Und auch nicht mehr zwi-
schen Hildegards von Bingen Tätigkeit als Äbtissin und ihren weiten Reisen und
den Ermahnungen, die sie schriftlich an den Papst oder den Kaiser richtet.
Die historische Entwicklung der monastischen und regulären Orden, die Ab-
folge ihrer Reformen, das Auftauchen neuer Formen regulierten Lebens und
deren Konkurrenz zu den älteren Orden können daher auf zwei Arten von Fak-
toren zurückgeführt werden: zum einen auf das Streben der Akteure - die Or-
densgründer und ihre Jünger - nach größerer Perfektion, nach einem wirksamen
Bruch mit den Verderbnissen der Welt oder den Erschlaffungen der älteren Or-
den; dieser individuelle Ansatz wurde in vielen jüngeren Arbeiten gut unter-
sucht.11 Aber er kann nicht als einzige Erklärung gesehen werden. Objektive
Faktoren, die sich auf die gesamte Kirche beziehen, sind mindestens ebenso
wichtig. In all ihren Bestandteilen musste sich die Kirche nämlich entweder
schrittweise oder wie bei der Gregorianischen Reform des 11.-12. Jahrhunderts
und nach den Reformkonzilien des 12.-13. Jahrhunderts - allen voran das IV.
Lateranum im Jahr 1215 - beschleunigt an die gesellschaftlichen Veränderungen
anpassen. In dieser Evolution hat der Regularklerus einen anderen Transforma-
tionsrhythmus erlebt als der Weltklerus. Nach der von Benedikt von Aniane
(750-821) durchgeführten Reform der Benediktiner haben drei bedeutende Ver-
änderungen deren Entwicklung geprägt:
- die Aufsplitterung des ordo monasticus in viele neue Orden: Cluny 910, die
Chartreuse 1084, Citeaux 1098, Grandmont 1124, usw.;
- die Konkurrenz zwischen Mönchen und Regularkanonikern, die in der Welt
der Regel des heiligen Augustinus unterworfen waren: Samt-Victor de Paris
(1113), Premontre (1121), Trinitarier, geistliche Ritterorden, die Prediger des
heiligen Dominikus (1216);
- die Approbation neuer Regeln, wie der des Franziskus von Assisi für die Min-
derbrüder (1221- 1223), die jedoch durch den Willen des Papsttums gebremst
11 Gert MELViLLE/Markus Schürer (Hgg.), Das Eigene und das Ganze. Zum Individuellen im
mittelalterlichen Religiosentum, Münster/Hamburg/London 2002 (Vita Regularis, Band
16); Gert Melville, Die Welt der mittelalterlichen Klöster (wie Anm. 1), S. 273-285 („Der
Einzelne und die Gemeinschaft“).
 
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