Warum Clunys Islamprojekt zunächst scheitern musste I 277
und damit in großer geographischer und sozialer Nähe zu den Muslimen immer
gegeben hat und das in dieser Kontaktsituation zweifellos in häufigem Aus-
tausch mit den Anhängern dieser neuen religiösen Tradition stand. Aber gerade
diese Milieus schieben sich seit dem 12. Jahrhundert vermehrt in den Vorder-
grund und differenzieren das Panorama des europäischen Islamdiskurses maß-
geblich und nachhaltig. Freilich ist nicht nur eine Geschichte lokal, regional und
global verfasster religiöser Gemeinschaften zu erzählen. Es ist auch auf das in-
novative Potential einzugehen, das sich angesichts des Islam im Spannungsver-
hältnis zwischen charismatischen Einzelgestalten, Institutionen und Regelwer-
ken im Kleinen wie im Großen entfaltete. Und schließlich geht es um nichts
weniger als die bislang kaum erzählte Geschichte, wie sich durch die Auseinan-
dersetzung mit der religiösen Alterität von (Juden und) Muslimen nicht nur
philosophische und theologische Auseinandersetzungsformen revolutionier-
ten, sondern wie sich überhaupt das mittelalterliche Verständnis von „religio“
im Sinne von ,religiösem Leben' („vita religiosa“) zu einem voraufklärerischen
Verständnis von „religio“ als ,Glaubenssystem' wandelte.6 Die Beschäftigung
mit (Juden und) Muslimen veränderte offenkundig Identitäten in den verschie-
densten Lebensbereichen des (lateinischen) Christentums und das auf unter-
schiedlichen Wahrnehmungs- und Deutungsebenen. Wie aber hingen diese Be-
reiche und Ebenen zusammen und wie entfalteten sie kurz- und mittelfristig
das Innovationspotential religiöser Gemeinschaften7 im Feld der religiösen
Auseinandersetzung? Wo sind also unmittelbare und offenkundige, wo eher
mittelbare und mehr verborgene Prozesse einer substantiellen Veränderung der
religiösen und gesellschaftlichen Verhältnisse erkennbar? Sind sie mehr im Be-
reich der eigenen Identitätsbildung und der Umwandlung des eigenen Wissens-
systems oder mehr im Bereich der viele Grenzen überschreitenden Aushand-
lung von neuen Wissensbeständen anzusiedeln?8 In welchem Verhältnis stand
[auch in: Carola L. GoTTZMANN/Roswitha Wisniewski (Hgg.), Ars et scientia. Studien zur
Literatur des Mittelalters und der Neuzeit. Festschrift für Hans Szklenar zum 70. Geburtstag,
Berlin 2002, S. 13-29],
6 Zu diesem großen Forschungsdesiderat vgl. Matthias M. Tischler, ,Lex Mahometi'. Die
Erfolgsgeschichte eines vergleichenden Konzepts der christlichen Religionspolemik, in: An-
dreas SPEER/Guy Guldentops (Hgg.), Das Gesetz - The Law - La Loi (Miscellanea Me-
diaevalia 38), Berlin/Boston 2014, S. 527-573, hier S. 531f.
7 Eine erste theoretische Grundlegung in unserem Zusammenhang: Gert Melville e. a.
(Hgg.), Innovationen durch Deuten und Gestalten. Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits
und Welt (Klöster als Innovationslabore. Studien und Texte 1), Regensburg 2014. Siehe ferner
die Vorstellung des Heidelberg-Leipziger Akademie-Projekts „Klöster als Innovationslabo-
re“: https://tu-dresden.de/dcpc/fovog/projekte/kloester-im-hochmittelalter.
8 Mit der Steuerung und Verhinderung von gefährlichem religiösen Wissen habe ich mich in
dem unveröffentlichten Vortrag zu meinem Habilitationskolloquium „Emfallstore der
und damit in großer geographischer und sozialer Nähe zu den Muslimen immer
gegeben hat und das in dieser Kontaktsituation zweifellos in häufigem Aus-
tausch mit den Anhängern dieser neuen religiösen Tradition stand. Aber gerade
diese Milieus schieben sich seit dem 12. Jahrhundert vermehrt in den Vorder-
grund und differenzieren das Panorama des europäischen Islamdiskurses maß-
geblich und nachhaltig. Freilich ist nicht nur eine Geschichte lokal, regional und
global verfasster religiöser Gemeinschaften zu erzählen. Es ist auch auf das in-
novative Potential einzugehen, das sich angesichts des Islam im Spannungsver-
hältnis zwischen charismatischen Einzelgestalten, Institutionen und Regelwer-
ken im Kleinen wie im Großen entfaltete. Und schließlich geht es um nichts
weniger als die bislang kaum erzählte Geschichte, wie sich durch die Auseinan-
dersetzung mit der religiösen Alterität von (Juden und) Muslimen nicht nur
philosophische und theologische Auseinandersetzungsformen revolutionier-
ten, sondern wie sich überhaupt das mittelalterliche Verständnis von „religio“
im Sinne von ,religiösem Leben' („vita religiosa“) zu einem voraufklärerischen
Verständnis von „religio“ als ,Glaubenssystem' wandelte.6 Die Beschäftigung
mit (Juden und) Muslimen veränderte offenkundig Identitäten in den verschie-
densten Lebensbereichen des (lateinischen) Christentums und das auf unter-
schiedlichen Wahrnehmungs- und Deutungsebenen. Wie aber hingen diese Be-
reiche und Ebenen zusammen und wie entfalteten sie kurz- und mittelfristig
das Innovationspotential religiöser Gemeinschaften7 im Feld der religiösen
Auseinandersetzung? Wo sind also unmittelbare und offenkundige, wo eher
mittelbare und mehr verborgene Prozesse einer substantiellen Veränderung der
religiösen und gesellschaftlichen Verhältnisse erkennbar? Sind sie mehr im Be-
reich der eigenen Identitätsbildung und der Umwandlung des eigenen Wissens-
systems oder mehr im Bereich der viele Grenzen überschreitenden Aushand-
lung von neuen Wissensbeständen anzusiedeln?8 In welchem Verhältnis stand
[auch in: Carola L. GoTTZMANN/Roswitha Wisniewski (Hgg.), Ars et scientia. Studien zur
Literatur des Mittelalters und der Neuzeit. Festschrift für Hans Szklenar zum 70. Geburtstag,
Berlin 2002, S. 13-29],
6 Zu diesem großen Forschungsdesiderat vgl. Matthias M. Tischler, ,Lex Mahometi'. Die
Erfolgsgeschichte eines vergleichenden Konzepts der christlichen Religionspolemik, in: An-
dreas SPEER/Guy Guldentops (Hgg.), Das Gesetz - The Law - La Loi (Miscellanea Me-
diaevalia 38), Berlin/Boston 2014, S. 527-573, hier S. 531f.
7 Eine erste theoretische Grundlegung in unserem Zusammenhang: Gert Melville e. a.
(Hgg.), Innovationen durch Deuten und Gestalten. Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits
und Welt (Klöster als Innovationslabore. Studien und Texte 1), Regensburg 2014. Siehe ferner
die Vorstellung des Heidelberg-Leipziger Akademie-Projekts „Klöster als Innovationslabo-
re“: https://tu-dresden.de/dcpc/fovog/projekte/kloester-im-hochmittelalter.
8 Mit der Steuerung und Verhinderung von gefährlichem religiösen Wissen habe ich mich in
dem unveröffentlichten Vortrag zu meinem Habilitationskolloquium „Emfallstore der