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Anzulewicz, Henryk; Breitenstein, Mirko [Hrsg.]; Melville, Gert [Hrsg.]
Die Wirkmacht klösterlichen Lebens: Modelle - Ordnungen - Kompetenzen - Konzepte — Klöster als Innovationslabore, Band 6: Regensburg: Schnell + Steiner, 2020

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.54634#0305
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Die Wirkmacht klösterlichen Lebens I 301

bereit und brachte eine gewaltige Aufwertung der Frau mit sich. Sie wurde zum
festen Bestand der kompletten urchristlichen Lebensgemeinschaft. Aus drei
Gruppen bestehe eine religiöse Gemeinschaft, so äußerte man sich in den Re-
formerkreisen dazu, nämlich aus Männern, Frauen und Konversen. Außerdem,
so wurde hinzugefügt, seien es die Frauen gewesen, die am Kreuz Christi aus-
geharrt hätten, während sich die kleinmütigen Jünger davongemacht hätten.
Auch die hervortretende Marienverehrung der Reformer trug dazu bei, das
weibliche Element im religiösen Tonus zu verstärken. Jüngere Forschungen ha-
ben den Blick darauf gelenkt, wie bedeutsam etwa die spirituell-literarische
Produktion in Frauenkonventen des 12. Jahrhunderts war. Das bedeutende Re-
formkloster Admont, in dem Männer und Frauen angesiedelt waren, ist dafür
ein gutes Beispiel.
Gingen die entscheidenden Impulse für diese Bewegung vom Mönchtum oder
aber vom Priestertum aus? Wurden die Grundlagen für den dynamischen Pro-
zess der Neubesinnung auf die rechte Form des christlichen Gemeinschaftsle-
bens von der monastischen Welt oder den Seelsorgern gelegt? Der Streit um die
Führungsrolle erhob sich bereits im späteren 11. Jahrhundert und zog sich durch
das gesamte 12. Jahrhundert hindurch. Wichtig bei dieser Frage ist die Beobach-
tung, dass die „Funktionalisierung“ der Gesellschaft im 11. Jahrhundert ein all-
gemeines Phänomen in der westeuropäischen Welt darstellte. Die Einteilung der
Gesellschaft nach Funktionen, d. h., in die Kämpfenden, die Arbeitenden und
die Betenden, trat immer stärker in den Vordergrund. Nur wenn jede der Grup-
pen die ihr übertragenen Pflichten und Aufgaben optimal erfüllte, könne das
Ganze der Gesellschaft erblühen, so führte bereits Adalbero von Laon zu Be-
ginn des 11. Jahrhunderts aus. Den Priestern war dabei die vornehmste Aufgabe
zugewiesen. Sie hatten als Seelsorger den Menschen den Weg zu Gott zu wei-
sen - eine höherwertige Funktion konnte es nicht geben. Aber dieser Aufgabe
vermochten sie nur gerecht werden, indem sie selbst ein tadelloses, engelgleiches
und vorbildhaftes Leben führten. Nur dann waren sie würdig, dass ihre Hand-
lungen vor Gott bestehen könnten. Das Muster für eine gottgefällige Lebens-
führung aber war allein im Mönchtum gegeben. Daran orientierten sich daher
ihrerseits die Reformkleriker bzw. Regularkanoniker. Ihre frühen Consuetudi-
nes fußen in erstaunlichem Umfang auf den Regeln der Cluniazenser und der
Hirsauer Mönche. Die Mönche wiederum wollten am hohen Funktionswert der
Reformkanoniker teilhaben und beanspruchten die Seelsorge auch für sich. So
kam es schon in der Anfangszeit zu einer Vermengung von mönchischer Heils-
ordnung und priesterlicher Funktion, oder anders gesagt: zu einer Monachisie-
rung des Klerus und einer Klerisierung der Mönche. Das treffendste Ergebnis
dieser Verschmelzung stellt die Entstehung des Prämonstratenserordens dar: ein
geradezu perfekt monastisch organisierter Klerikerorden.
 
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