Die Wirkmacht klösterlichen Lebens I 305
ren. Und er verfügte über weitreichende Kontakte. Aber entscheidend dafür,
dass ihn Kaiser Lothar III. an seinen Hof holte, war der hohe Rang, den Norbert
in Reformerkreisen genoss. Mit Norbert holte sich der Kaiser die Anerkennung
der modernen und führenden Geisteshaltung dieser Zeit in seine Umgebung.
Auch die Übertragung der Erzbischofswürde von Magdeburg muss gewiss in
diesem Lichte gesehen werden. Auf diesem Feld sehen wir weitreichende Fort-
setzungen: Auch Wilhelm von Ockham war ein am Hof Ludwigs des Bayern
willkommener Berater und Experte.
3. Gefahren und Grenzen für die Wirkkraft klösterlichen Lebens
Ideen und ihre Wirkkraft sind abhängig von den jeweiligen Zeitströmungen und
den vorherrschenden Wertevorstellungen. „Nichts ist so wirkmächtig wie eine
Idee, deren Zeit gekommen ist“, jener Victor Hugo zugeschriebene Satz bringt
diesen Sachverhalt auf den Punkt. Aber es gilt eben auch die umgekehrte Seite:
Wenn ihre Zeit vorüber ist, erschlafft die Kraft der Idee. Bischof Bartholomäus
von Laon hatte 1120 aus Kirchengut die Ausstattung für das Reformstift Pre-
montre an Norbert von Xanten geschenkt. Das war ein Akt, der ganz im Geist
dieser Zeit ehrenvoll war und Ansehen brachte. Aber drei Jahrzehnte später hatte
sich der Zeitgeist geändert. Das Domkapitel von Laon zog ihren inzwischen alt
gewordenen Bischof vor Gericht mit dem Vorwurf, dieser habe seinerzeit Kir-
chengut der Diözese für einen unnützen Zweck verschleudert. Die Förderung
des Reformers galt inzwischen als strafwürdige Handlung, weil damit den Be-
sitzverhältnissen des Bistums Schaden zugefügt wurde. Jetzt bestimmte nicht
mehr die Idee von der Erneuerung der Urkirche, sondern die Wahrung von
Rechten und Gütern das Denken und Handeln am Domstift von Laon.
Eine noch größere Gefahr für die Wirkkraft klösterlichen Lebens aber ist in
den Maßnahmen zur Vereindeutigung und Institutionalisierung der klösterli-
chen Ordnung selbst zu sehen. Auf der einen Seite wurde durch die umfassen-
den Regulierungen deren Fortbestand gesichert. Aber andererseits drohte stets
auch die Gefahr der inneren Erstarrung und der Eormalisierung spiritueller In-
halte. Die Institution als solche geriet in die Gefahr der inneren Zersetzung. War
die „Institution“ des Klosters am Ende ein Hindernis und gar nicht mehr nötig?
Die Idee des „Ordens ohne Haus“ kann als Reaktion auf solche Probleme ange-
sehen werden. Es war die Idee der Franziskaner, die den Orden auf die Summe
der Brüder als Individuen projizierte. Der Einzelne wurde in neuartiger Weise
in die Pflicht genommen, um dem Ganzen zu dienen. Derselbe Gedanke zeigt
sich bei den Dominikanern, denen Thomas von Cantimpre das Ideal des Bienen-
staats vor Augen hielt, in dem sich die einzelnen Bienen unermüdlich in selb-
ren. Und er verfügte über weitreichende Kontakte. Aber entscheidend dafür,
dass ihn Kaiser Lothar III. an seinen Hof holte, war der hohe Rang, den Norbert
in Reformerkreisen genoss. Mit Norbert holte sich der Kaiser die Anerkennung
der modernen und führenden Geisteshaltung dieser Zeit in seine Umgebung.
Auch die Übertragung der Erzbischofswürde von Magdeburg muss gewiss in
diesem Lichte gesehen werden. Auf diesem Feld sehen wir weitreichende Fort-
setzungen: Auch Wilhelm von Ockham war ein am Hof Ludwigs des Bayern
willkommener Berater und Experte.
3. Gefahren und Grenzen für die Wirkkraft klösterlichen Lebens
Ideen und ihre Wirkkraft sind abhängig von den jeweiligen Zeitströmungen und
den vorherrschenden Wertevorstellungen. „Nichts ist so wirkmächtig wie eine
Idee, deren Zeit gekommen ist“, jener Victor Hugo zugeschriebene Satz bringt
diesen Sachverhalt auf den Punkt. Aber es gilt eben auch die umgekehrte Seite:
Wenn ihre Zeit vorüber ist, erschlafft die Kraft der Idee. Bischof Bartholomäus
von Laon hatte 1120 aus Kirchengut die Ausstattung für das Reformstift Pre-
montre an Norbert von Xanten geschenkt. Das war ein Akt, der ganz im Geist
dieser Zeit ehrenvoll war und Ansehen brachte. Aber drei Jahrzehnte später hatte
sich der Zeitgeist geändert. Das Domkapitel von Laon zog ihren inzwischen alt
gewordenen Bischof vor Gericht mit dem Vorwurf, dieser habe seinerzeit Kir-
chengut der Diözese für einen unnützen Zweck verschleudert. Die Förderung
des Reformers galt inzwischen als strafwürdige Handlung, weil damit den Be-
sitzverhältnissen des Bistums Schaden zugefügt wurde. Jetzt bestimmte nicht
mehr die Idee von der Erneuerung der Urkirche, sondern die Wahrung von
Rechten und Gütern das Denken und Handeln am Domstift von Laon.
Eine noch größere Gefahr für die Wirkkraft klösterlichen Lebens aber ist in
den Maßnahmen zur Vereindeutigung und Institutionalisierung der klösterli-
chen Ordnung selbst zu sehen. Auf der einen Seite wurde durch die umfassen-
den Regulierungen deren Fortbestand gesichert. Aber andererseits drohte stets
auch die Gefahr der inneren Erstarrung und der Eormalisierung spiritueller In-
halte. Die Institution als solche geriet in die Gefahr der inneren Zersetzung. War
die „Institution“ des Klosters am Ende ein Hindernis und gar nicht mehr nötig?
Die Idee des „Ordens ohne Haus“ kann als Reaktion auf solche Probleme ange-
sehen werden. Es war die Idee der Franziskaner, die den Orden auf die Summe
der Brüder als Individuen projizierte. Der Einzelne wurde in neuartiger Weise
in die Pflicht genommen, um dem Ganzen zu dienen. Derselbe Gedanke zeigt
sich bei den Dominikanern, denen Thomas von Cantimpre das Ideal des Bienen-
staats vor Augen hielt, in dem sich die einzelnen Bienen unermüdlich in selb-