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Maul, Stefan M.; Maul, Stefan M. [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 10, Teilband 1): Einleitung, Katalog und Textbearbeitungen — Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.57036#0017
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Bannlösung (nam-erim-bür-ru-da)

2. Die neuentdeckten Schriften zur Bannlösung
Unsere eigenen Forschungen, die bis in das Jahr 1987
zurückreichen.18 bauen auf O. Pedersens grundlegenden
Arbeiten auf. Nach einer systematischen Sichtung aller nach
Berlin gelangten Tontafeln aus Assur können wir heute etwa
1300 Tontafeln und Tafelfragmente dem Schriftenbestand aus
dem Besitz der assyrischen Heiler zuweisen. Darunter befinden
sich viele Tontafelscherben, die so stark beschädigt oder so klein
sind, daß sie auf den ersten Blick als wertlos erscheinen. Nur in
einem Forschungsvorhaben, das nicht dem heutzutage üblichen
Zwang unterliegt, in kurz bemessenen Zeiträumen Ergebnisse
vorzulegen, kann es gelingen, nach und nach zusammengehörige
Tafelfragmente ausfindig zu machen und aus kleinen, wenig
aussagekräftigen Bruchstücken wieder mehr oder minder
vollständige Texte erstehen zu lassen, die zuvor unbekannt
waren. Das mittlerweile dreißig Jahre währende Bemühen um
die Entzifferung kleiner Tafelbruchstücke hat sichtbare Früchte
getragen, denn selbst nach hundertjähriger Erforschung der
Schriften, die die Heiler aus Assur im 7. Jh. v. Chr. in ihrem
Haus versammelt hatten, kann hier noch ein ganzes Gerne
heilkundlicher Traktate präsentiert werden, dessen Existenz
bislang verborgen geblieben war.
2.1. Der ‘Leitfaden’zur Durchführung der nam-erim-bür-
ru-da genannten Heilbehandlung (Texte Nr. 1-2)
Am Anfang stand die Entdeckung einer erstaunlich gut
erhaltenen, unveröffentlicht gebliebenen Tontafel aus dem
Besitz der assyrischen Heiler (VAT 13760. hier Text Nr. 1; siehe
Abb. 3). Sie enthielt die weitgehend vollständige Anleitung
zur Durchführung einer sehr aufwendigen Heilbehandlung,
deren Ziel es war. einem von den Göttern über einen Menschen
verhängten “Barm” (mänütu) seine schädigende Kraft zu
nehmen und das Urteil, einen Menschen unter einen Bann zu
stellen, zu revidieren und aufzuheben, damit eine gegebenenfalls
notwendige Therapie der von dem Bann verursachten physischen
Gebrechen die gewünschte nachhaltige Wirkung entfalten
konnte.
Den Fachkonventionen zufolge wird eine solche
Zusammenstellung als ‘Ritualtafel’ bezeichnet. In dem
vorliegenden Zusammenhang erweist sich dieser Begriff
jedoch als unsachgerecht und irreführend. Er findet hier keine
Verwendung, da er den heilkundlich-therapeutischen Charakter
des Traktates vollkommen außer acht läßt. Statt dessen wird hier
von dem ‘Leitfaden’ einer Heilbehandlung die Rede sein.
Wie auf der Tafel eigens vermerkt, hatte der Heiler
Kisir-Assur den ‘Leitfaden’ von einer älteren Vorlage eilig
abgeschrieben, um sich so auf die Durchführung der darin
beschriebenen Behandlung vorzubereiten. Nach genauerem
Studium der Tafel zeigte sich, daß in dem Haushalt der Heiler
sogar ein weiteres Exemplar dieses ‘Leitfadens’ aufbewahrt
worden war. Das bereits im Jahr 1953 in Gestalt einer
keilschriftlichen Faksimilezeichnung veröffentlichte, doch nie
ausführlich studierte Tafelbruchstück (LKA 150 = VAT 13685;
hier Text Nr. 2) ist stark beschädigt. Ohne das neu aufgefundene
Duplikat hatte man daher kaum erkennen können, worauf die
in dem Text beschriebene Behandlung zielte. Auch wenn in
keinem der beiden Textvertreter die ersten Zeilen mit den
einleitenden Bemerkungen erhalten blieben, ließ der Inhalt

18 Dazu siehe S. M. Maul in KAL 1. x-xi.

des wiederentdeckten ‘Leitfadens’ keinen Zweifel daran, daß
hier die Anleitung zu der Heilbehandlung vorlag. die in dem
Curriculum der Heiler unter der Bezeichnung nam-erim-bür-
ru-da aufgeführt war.19
Die Aufgabe des ‘Leitfadens’ lag darin, einem Heiler auf
einer einzigen Tafel und damit auf knappem Raum einen raschen
Überblick über den Verlauf der komplexen Heilbehandlung
zu bieten, die sich von den Vorbereitungen bis zu ihrem Ende
über mehrere Tage hinziehen konnte und an verschiedenen
Schauplätzen durchgeführt werden sollte. Um eine bessere
Übersichtlichkeit herzustellen, sind die Abschnitte, die
in dem ‘Leitfaden’ den zahlreichen einzelnen Phasen des
Bannlösungsverfahrens entsprechen, durch horizontale Striche
voneinander abgesetzt.


Abb. 3: ‘Leitfaden’ zur Durchführung einer Heilbehandlung, die
"Bannlösung” genannt wurde (VAT 13760. Rs.; Photoder Assur-
Forschungsstelle. Heidelberg)

Aus dem Blickwinkel eines altorientalischen Heilers bildete
ein zu sprechendes Gebet oder die Rezitation einer Beschwörung
zumeist das kennzeichnende Element eines solchen
Behandlungsabschnitts, auch wenn dieser aus unserer Perspektive
19 Das Incipit der Tafel dürfte mämita ana pasäri gelautet haben und somit
der Glosse entsprechen, mit derKisir-NabüinKAR44. Vs. 12 den Eintrag
nam-erim-bür-ru-da versehen hatte.
 
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