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Bannlösung (nam-erim-bür-ru-da)
In der Therapiebeschreibimg 2 (Texte Nr. 4-10) sind die
Verfahren, die in dem Teig gebundene pathogene Kraft des Banns
endgültig aufzulösen und zu beseitigen, genauer beschrieben. In
dem Bewußtsein, daß das Unheil nicht endgültig aus der Welt zu
schaffen sei. sollten die Teigbatzen zumindest völlig aufgelöst,
sozusagen bis zum Nichts verdünnt und fern vom eigenen
Lebensraum im gesamten Erdkreis verstreut werden. Drei Tiere,
die Himmel. Erde und Wasser - die drei großen kosmischen
Bereiche des altorientalischen Weltbildes - repräsentieren,
sollten das Unheil des Banns in die Feme davontragen. Einem
Vogel, einem Kalb und einem Fisch wurden, bevor man sie in
den ihnen zugewiesenen Lebensbereich entließ, die Teigklumpen
verfüttert.289 Mit dieser Nahrung sollten sie den materiellen
Quell des Übels in sich aufnehmen und regelrecht verdauen.290
Bevor er sie freigab. hatte der Heiler das Wort an jedes einzelne
der Tiere zu richten. Etwa zu dem Vogel sollte er im Namen
seines Patienten sprechen:
“Du, Vogel des Himmels. Geschöpf des Anum. ich bin die
Menschheit. Geschöpf derNinmenanna! Meine Schuldenlast,
meinen Bann, das was (mir) von den Göttern entgegengestellt
wurde, meine Klage. Zaubereien. Hexereien. Bezauberangen
(und) bösen Machenschaften der Menschheit, du. nimm
(all dies) von mir entgegen! Du. verschone mich! Die (mir)
bereitete Krankheit nimm doch von mir entgegen, daß ich
dann leben möge!"291
Mit diesem Ritus, der stark an das als kapparot bezeichnete
jüdische Ritual des ‘Hühnerschwenkens’ erinnert, welches
in sehr traditionellen Kontexten am Versöhnungstag (Jom
Kippur) durchgeführt wird, sollte die materielle Basis des sich
entfaltenden Banns endgültig von dem Menschen und seinem
Lebensraum genommen werden.
Ein Teil des kontaminierten Teigs wurde jedoch
zurückgehalten. Enge Parallelen, die sich zwischen den
Bannlösungsverfahren und der Therapie beobachten lassen,
die wir - den mesopotamischen Traditionen folgend - Surpu
(”Verbrennung") nennen, sprechen dafür, daß etwas von dem
für die Abreibung eines Patienten verwendeten Teig für die
Mischung aus Opfermehl und Aromatika Verwendung fand,
welche manbei der Rezitation der sog. //pswr-Litaneien auf einem
Kohlebecken verbrannte.292 Das Übel des Banns sollte sich so
“zum Himmel wegheben' und “wie eine dahintreibende Wolke
auf einem anderen Acker' niederregnen oder “wie ein fliegender
Funke davonfliegen' und “wie Aschenglut verlöschen.”293
Überdies setzte man dem Bannfigürchen, bevor es rituell
getötet wurde, einen weiteren Teil des durch die Abreibung
kontaminierten Teigs als Speiseopfer vor. Durch den Befehl des
Heilers war der Bann zur Annahme der Gabe verpflichtet.294 Auf
diese Weise kehrte das dereinst von dem Bann ausgegangene
Unheil an seinen Ursprungsort zurück. In gewisser Weise wurde
so der Verlauf des Bann-Leidens rückläufig wiederholt und
damit ungeschehen gemacht. Waschungen und Spülungen, die
289 Siehe Text Nr. 4-10. 65-80 und 91-104; Text Nr. 40-44. 34-74. Vgl.
ferner A. Cavigneaux. OrNS 76. 326. 8’—13’.
290 Zu diesem Gedanken siehe Text Nr. 4-10. 75-77 und Text Nr. 55-62.
a+19-25.
291 Text Nr. 4-10. 98-103.
292 Siehe den Kommentar zu Text Nr. 1-2. 17’—18’.
293 Text Nr. 16-26. 18. 20. 22 und 21 und die Parallelstellen ebd.. 37. 39. 41
und 40.
294 Siehe hierzu Text Nr. 3. 66-71 und den Kommentar zu Text Nr. 1-2. 8'.
der Patient über dem Figürchen des Banns oder dem eigenen
Substitut durchzuführen hatte, verfolgten das gleiche Ziel.295
Man ließ überdies das Waschwasser des Patienten auch auf
den Erdboden fließen. Negative Kraft sollte dabei in die Erde
abgeleitet werden, während man glaubte, daß die Erde im
Gegenzug positive Energie in den Patienten zurückfließen
ließ.296
Durch die Verbrennung des kontaminierten Teigs war das zu
bekämpfende Übel in den Himmel aufgestiegen297 und durch
das Waschwasser in die Erde gelangt. Die schädigende Kraft
des Banns war auch dadurch wieder in jene Bereiche jenseits
des menschlichen Lebensraums zurückgeführt, aus denen er der
Lehre der Heiler zufolge gekommen war.298
Die zentralen Abschnitte eines jeden Bannlösungsverfahrens
besitzen den Charakter der szenischen Umsetzung eines Dramas,
als dessen Protagonisten der personifizierte Bann, der von dem
Bann geschädigte Patient und der Heiler fungierten, durch
den der dem Menschen stets zugewandte göttliche Heiland
spricht und wirkt. Den Schauplatz bildete dabei das Haus, in
dem ein Bann zu wirken begonnen hatte.299 Hier sollte dank
göttlichen Beistands die Auseinandersetzung mit dem in einem
Bild inkamierenden Übel des Banns zugunsten des Menschen
entschieden werden. Die im Therapiegeschehen dramatisch in
Szene gesetzte Erlösung von einem Bann verlangt geradezu
nach einem Publikum, und in der Tat gibt es in den dicenda
der Bannlösungsverfahren Hinweise darauf, daß man das
Heilverfahren vor Zeugen durchführte. Handlungsanweisungen
zufolge sollte nämlich der unter einen Bann Geratene ein
Schuldbekenntnis sprechen und dabei Getreidekömer in der
Hand halten, die seine zahlreichen Vergehen verkörperten. Um
die Bereitschaft zur Umkehr zu dokumentieren, sollte er sie
dann von sich werfen und zertreten, damit “derjenige, der seinen
Gott und seine Göttin nicht fürchtet.”300 dies sehen möge, um
daraus zu lernen. Auch das Erstechen eines Bannfigürchens, dem
man zuvor den Bauch mit Blut gefüllt hatte.301 dürfte mit dem
fließenden Blut einen Effekt bezweckt haben, mit dem man ein
Publikum beeindrucken kann. Das gleiche gilt vielleicht auch für
einige Handlungen, die in dem Therapiegeschehen Wirkmacht
und Erfolg des Heilverfahrens zeichenhaft demonstrieren sollten.
So kam etwa dem Patienten die Aufgabe zu. durch das Schälen
einer Zwiebel und das Aufdrehen einer Kordel sich selbst und
wohl auch einer aus Familie. Haushaltsangehörigen. Freunden
und Nachbarn bestehenden Öffentlichkeit seine nun angehende
Lösung von dem ihn bedrückenden Bann sichtbar vor Augen zu
führen.302 Die Anwesenheit von Zeugen kann die Wirkmacht
eines Bannlösungsverfahrens nur gesteigert haben. Denn unter
der Maßgabe, daß die Wirkkraft der Therapie der Heiler nicht
grandsätzlichinFrage gestellt wurde, konnte Familienmitgliedern
295 Siehe die in Anm. 278 zusammengestellten Belege.
296 Siehe Text Nr. 16-26. 17 und Text Nr. 46—17. 42. Vgl. ferner Text Nr. 54.
15’.
297 Vgl. dazu auch Text Nr. 16-26. 18 und 37; Text Nr. 27-33. 98; Text
Nr. 40-44. 83 und Text Nr. 46-17. 37.
298 Siehe dazu oben S. 14.
299 Siehe Text Nr. 4-10. 7 und ferner Text Nr. 67. 1'.
300 Text Nr. 16-26. 67 (vgl. den Kommentar zu Z. 56-74).
301 Siehe Text Nr. 46-47. 47-50.
302 Siehe hierzu Text Nr. 1-2. 10”—11 ' und den zugehörigen Kommentar
sowie Text Nr. 16-26. 23ff. und 42ff.; Text Nr. 27-33. 79-80 und Text
Nr. 61. Vs. 2.
Bannlösung (nam-erim-bür-ru-da)
In der Therapiebeschreibimg 2 (Texte Nr. 4-10) sind die
Verfahren, die in dem Teig gebundene pathogene Kraft des Banns
endgültig aufzulösen und zu beseitigen, genauer beschrieben. In
dem Bewußtsein, daß das Unheil nicht endgültig aus der Welt zu
schaffen sei. sollten die Teigbatzen zumindest völlig aufgelöst,
sozusagen bis zum Nichts verdünnt und fern vom eigenen
Lebensraum im gesamten Erdkreis verstreut werden. Drei Tiere,
die Himmel. Erde und Wasser - die drei großen kosmischen
Bereiche des altorientalischen Weltbildes - repräsentieren,
sollten das Unheil des Banns in die Feme davontragen. Einem
Vogel, einem Kalb und einem Fisch wurden, bevor man sie in
den ihnen zugewiesenen Lebensbereich entließ, die Teigklumpen
verfüttert.289 Mit dieser Nahrung sollten sie den materiellen
Quell des Übels in sich aufnehmen und regelrecht verdauen.290
Bevor er sie freigab. hatte der Heiler das Wort an jedes einzelne
der Tiere zu richten. Etwa zu dem Vogel sollte er im Namen
seines Patienten sprechen:
“Du, Vogel des Himmels. Geschöpf des Anum. ich bin die
Menschheit. Geschöpf derNinmenanna! Meine Schuldenlast,
meinen Bann, das was (mir) von den Göttern entgegengestellt
wurde, meine Klage. Zaubereien. Hexereien. Bezauberangen
(und) bösen Machenschaften der Menschheit, du. nimm
(all dies) von mir entgegen! Du. verschone mich! Die (mir)
bereitete Krankheit nimm doch von mir entgegen, daß ich
dann leben möge!"291
Mit diesem Ritus, der stark an das als kapparot bezeichnete
jüdische Ritual des ‘Hühnerschwenkens’ erinnert, welches
in sehr traditionellen Kontexten am Versöhnungstag (Jom
Kippur) durchgeführt wird, sollte die materielle Basis des sich
entfaltenden Banns endgültig von dem Menschen und seinem
Lebensraum genommen werden.
Ein Teil des kontaminierten Teigs wurde jedoch
zurückgehalten. Enge Parallelen, die sich zwischen den
Bannlösungsverfahren und der Therapie beobachten lassen,
die wir - den mesopotamischen Traditionen folgend - Surpu
(”Verbrennung") nennen, sprechen dafür, daß etwas von dem
für die Abreibung eines Patienten verwendeten Teig für die
Mischung aus Opfermehl und Aromatika Verwendung fand,
welche manbei der Rezitation der sog. //pswr-Litaneien auf einem
Kohlebecken verbrannte.292 Das Übel des Banns sollte sich so
“zum Himmel wegheben' und “wie eine dahintreibende Wolke
auf einem anderen Acker' niederregnen oder “wie ein fliegender
Funke davonfliegen' und “wie Aschenglut verlöschen.”293
Überdies setzte man dem Bannfigürchen, bevor es rituell
getötet wurde, einen weiteren Teil des durch die Abreibung
kontaminierten Teigs als Speiseopfer vor. Durch den Befehl des
Heilers war der Bann zur Annahme der Gabe verpflichtet.294 Auf
diese Weise kehrte das dereinst von dem Bann ausgegangene
Unheil an seinen Ursprungsort zurück. In gewisser Weise wurde
so der Verlauf des Bann-Leidens rückläufig wiederholt und
damit ungeschehen gemacht. Waschungen und Spülungen, die
289 Siehe Text Nr. 4-10. 65-80 und 91-104; Text Nr. 40-44. 34-74. Vgl.
ferner A. Cavigneaux. OrNS 76. 326. 8’—13’.
290 Zu diesem Gedanken siehe Text Nr. 4-10. 75-77 und Text Nr. 55-62.
a+19-25.
291 Text Nr. 4-10. 98-103.
292 Siehe den Kommentar zu Text Nr. 1-2. 17’—18’.
293 Text Nr. 16-26. 18. 20. 22 und 21 und die Parallelstellen ebd.. 37. 39. 41
und 40.
294 Siehe hierzu Text Nr. 3. 66-71 und den Kommentar zu Text Nr. 1-2. 8'.
der Patient über dem Figürchen des Banns oder dem eigenen
Substitut durchzuführen hatte, verfolgten das gleiche Ziel.295
Man ließ überdies das Waschwasser des Patienten auch auf
den Erdboden fließen. Negative Kraft sollte dabei in die Erde
abgeleitet werden, während man glaubte, daß die Erde im
Gegenzug positive Energie in den Patienten zurückfließen
ließ.296
Durch die Verbrennung des kontaminierten Teigs war das zu
bekämpfende Übel in den Himmel aufgestiegen297 und durch
das Waschwasser in die Erde gelangt. Die schädigende Kraft
des Banns war auch dadurch wieder in jene Bereiche jenseits
des menschlichen Lebensraums zurückgeführt, aus denen er der
Lehre der Heiler zufolge gekommen war.298
Die zentralen Abschnitte eines jeden Bannlösungsverfahrens
besitzen den Charakter der szenischen Umsetzung eines Dramas,
als dessen Protagonisten der personifizierte Bann, der von dem
Bann geschädigte Patient und der Heiler fungierten, durch
den der dem Menschen stets zugewandte göttliche Heiland
spricht und wirkt. Den Schauplatz bildete dabei das Haus, in
dem ein Bann zu wirken begonnen hatte.299 Hier sollte dank
göttlichen Beistands die Auseinandersetzung mit dem in einem
Bild inkamierenden Übel des Banns zugunsten des Menschen
entschieden werden. Die im Therapiegeschehen dramatisch in
Szene gesetzte Erlösung von einem Bann verlangt geradezu
nach einem Publikum, und in der Tat gibt es in den dicenda
der Bannlösungsverfahren Hinweise darauf, daß man das
Heilverfahren vor Zeugen durchführte. Handlungsanweisungen
zufolge sollte nämlich der unter einen Bann Geratene ein
Schuldbekenntnis sprechen und dabei Getreidekömer in der
Hand halten, die seine zahlreichen Vergehen verkörperten. Um
die Bereitschaft zur Umkehr zu dokumentieren, sollte er sie
dann von sich werfen und zertreten, damit “derjenige, der seinen
Gott und seine Göttin nicht fürchtet.”300 dies sehen möge, um
daraus zu lernen. Auch das Erstechen eines Bannfigürchens, dem
man zuvor den Bauch mit Blut gefüllt hatte.301 dürfte mit dem
fließenden Blut einen Effekt bezweckt haben, mit dem man ein
Publikum beeindrucken kann. Das gleiche gilt vielleicht auch für
einige Handlungen, die in dem Therapiegeschehen Wirkmacht
und Erfolg des Heilverfahrens zeichenhaft demonstrieren sollten.
So kam etwa dem Patienten die Aufgabe zu. durch das Schälen
einer Zwiebel und das Aufdrehen einer Kordel sich selbst und
wohl auch einer aus Familie. Haushaltsangehörigen. Freunden
und Nachbarn bestehenden Öffentlichkeit seine nun angehende
Lösung von dem ihn bedrückenden Bann sichtbar vor Augen zu
führen.302 Die Anwesenheit von Zeugen kann die Wirkmacht
eines Bannlösungsverfahrens nur gesteigert haben. Denn unter
der Maßgabe, daß die Wirkkraft der Therapie der Heiler nicht
grandsätzlichinFrage gestellt wurde, konnte Familienmitgliedern
295 Siehe die in Anm. 278 zusammengestellten Belege.
296 Siehe Text Nr. 16-26. 17 und Text Nr. 46—17. 42. Vgl. ferner Text Nr. 54.
15’.
297 Vgl. dazu auch Text Nr. 16-26. 18 und 37; Text Nr. 27-33. 98; Text
Nr. 40-44. 83 und Text Nr. 46-17. 37.
298 Siehe dazu oben S. 14.
299 Siehe Text Nr. 4-10. 7 und ferner Text Nr. 67. 1'.
300 Text Nr. 16-26. 67 (vgl. den Kommentar zu Z. 56-74).
301 Siehe Text Nr. 46-47. 47-50.
302 Siehe hierzu Text Nr. 1-2. 10”—11 ' und den zugehörigen Kommentar
sowie Text Nr. 16-26. 23ff. und 42ff.; Text Nr. 27-33. 79-80 und Text
Nr. 61. Vs. 2.