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Maul, Stefan M.; Maul, Stefan M. [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 10, Teilband 1): Einleitung, Katalog und Textbearbeitungen — Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.57036#0036
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Einleitung

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des Patienten, seinen Freunden. Nachbarn und Verwandten
mit der dramatisch in Szene gesetzten Behandlung durchaus
vermittelt werden, daß damit das Grundübel des Banns aus
der Welt geschafft worden und der Leidende nunmehr auf dem
Weg der Besserung sei. Mit dieser in das soziale Umfeld des
Patienten getragenen Überzeugung konnten die Zeugen eines
Bannlösungsverfahrens dazu beitragen, daß der Kranke neue
Zuversicht schöpfte und dadurch seine Selbstheilungskräfte
aktiviert und gestärkt wurden.
Der Glaube an die Wirkmacht der Bannlösungsverfahren war
so groß, daß selbst die neuassyrischen Könige fürchteten. Dritten
könnte es gelingen, sich durch eine entsprechende Behandlung
von den Bindungen eines dem Herrscher geschworenen Eides
zu befreien. Daher ließen sie in den ihnen abzulegenden
Loyalitätseiden eigens Klauseln einfügen, mit denen dies unter
Strafe gestellt wurde.303
8. Die medizinische Behandlung des Bann-Leidens
Erst nachdem die Tilgung des Banns in dramatischer
Inszenierung vor dem Patienten und den Seinen sichtbar
vollzogen worden war. konnte im System der altorientalischen
Heilkunst eine medikamentöse Behandlung der körperlichen
Symptome des Patienten nachhaltig Wirkung entfalten. Sie lag.
so wie das Bannlösungsverfahren, in der Hand der Heiler (äsipu
bzw. masmassu). In dem sog. Haus des Beschwörungspriesters
in Assur wurden gemeinsam mit den Beschreibungen von
Bannlösungsverfahren zahlreiche Rezepte mit Anweisungen
zu Herstellung und Verabreichung von Medikamenten
gefunden, die die von einem Bann verursachten körperlichen
Leiden lindem sollten.304 Die Kolophone der entsprechenden
Tontafeln beweisen, daß es dieselben Personen waren,
die - jeweils um sich auf die entsprechenden Behandlungen
vorzubereiten - die Bannlösungsverfahren und auch die
medizinisch-pharmakologischen Rezepte niederschrieben.305
Zur Therapie der lebensbedrohlichen Abdominalerkrankung,
in der das Bann-Leiden gipfelte, setzten die Heiler vor allem
Einläufe ein. die bisweilen aus mehr als 60 verschiedenen
zumeist pflanzlichen Bestandteilen gekocht und durch ein Rohr
in den Darm verabreicht wurden. Dabei lassen sich zwei Typen
unterscheiden. Der erste sollte für eine rasche und vollständige
Entleerung und Säuberung des Darms sorgen.306 Der Einsatz
dieser Einläufe wurde manchmal durch die Verabreichung
von Brechmitteln307 ergänzt, mit deren Hilfe auch aus dem
Magen Gift- und Schadstoffe schnellstmöglich beseitigt
werden sollten. Die Einläufe der zweiten Art sollten rasch und
effektiv Heilmittel in den Darmbereich einbringen, namentlich
wenn der Patient - etwa wegen einer weit vorangeschrittenen
Dehydration - peroral zu verabreichende Medikamente nicht
mehr aufnehmen konnte.308 Einem solchen Einlauf konnte

303 Siehe S. Parpola. K. Watanabe. SAA 2, 22. Text Nr. 4. 10'—15'; ebd.. 44.
Text Nr. 6. § 33.
304 Mit den Texten Nr. 70-80 wird hier eine Auswahl der wichtigsten
Textzeugen vorgestellt.
305 Siehe Anm. 69.
306 Siehe Text Nr. 70-72. 1-8. 9-20. 21-31; Text Nr. 78. 33-39. 54-61.
62-65. Ein Trank, der demselben Zweck diente, ist in Text Nr. 70-72. 1-8
beschrieben.
307 Siehe Text Nr. 76-77. 21-24; Text Nr. 79. 24' und 45 -47'.
308 Hierher dürften folgende Belege gehören: Text Nr. 73-74; Text Nr. 75;
Text Nr. 76-77. 11-14; Text Nr. 78. 1-6. 7-17. 18-32. 45-53. 66-69; Text

eine Darmspülung vorangehen.309 Überdies fanden auch rektal
eingeführte Zäpfchen Verwendung.310 Zwar kennen wir in
vielen Fällen die Wirkkraft der einzelnen Bestandteile solcher
Heilmittel noch nicht genau.311 Der Umstand, daß in einem
Rezept für die Herstellung eines Einlaufs des zweiten Typs der
Zusatz von Bierhefe vorgeschrieben war.312 könnte aber darauf
hinweisen, daß mit Hilfe dieser Ingredienz die Darmtätigkeit
wieder angeregt werden sollte. Nach der mehrmaligen
Verabreichung eines solchen Einlaufs wurde der Kranke mit
Räucherungen.313 Wickeln. Kräuter- und Breiumschlägen.314
medizinischen Bädern.315 Salben316 und auf nüchternen Magen
zu verabreichenden Heiltränken317 kuriert.
Überdies kamen auch Universalheilmittel zum Einsatz, die
nicht allein gegen die körperlichen Symptome eines Banns,
sondern zugleich auch gegen eine Vielzahl weiterer Leiden und
nicht selten sogar "gegen jegliche Krankheit" wirken sollten.318
9. Prophylaktische Maßnahmen
Die Heiler hatten auch nach Beendigung ihrer Therapien
Maßnahmen zum prophylaktischen Schutz vor einer erneuten
Bann-Erkrankung zur Hand. Hierzu empfahlen sie neben einer
gründlichen Reinigung des Hauses eines Betroffenen319 und
der genauen Beachtung hemerologischer Vorschriften320 ein
Amulett, das aus drei auf einer Schnur aufgereihten Steinen
bestand und dem Patienten als Kette um den Hals gelegt wurde.
Lapislazuli. Türkis7 (UGU.AS.GI.GI) und Goldperlen, über
die zuvor eine Beschwörung zu sprechen war.321 sollten dafür

Nr. 79. 27'. 30-31’(wirklich hierher?), 32 -35’, 48 -50’, 51 -53’. Siehe
außerdem BAM 189. Kol. I. 1-12'. Vgl. auch das in in BAM 228. 1-22
und dem Duplikat BAM 229. 1 -16' beschriebene, aus 46 Ingredienzien
gekochte Universalheilmittel. das u. a. gegen die “Hand des Banns "
eingesetzt werden sollte und sieben Tage lang morgens und abends
anzuwenden war.
309 Siehe Text Nr. 76-77. 1-10.
310 Siehe Text Nr. 78. 70-75. 76-77. 78-81 sowie BAM 95. 19-20 und 21-22.
311 Hinweise darauf, daß in den keilschriftlichen Rezepten genannte Heilmittel
auch aus der Sicht der heutigen Medizin als wirkkräftig anzusehen sind,
hat M. Haussperger in Gs. Calmeyer. 343-346 und in WdO 32. 33-73
zusammengestellt.
312 Siehe Text Nr. 76-77. 12.
313 Siehe Text Nr. 79. 17’-19’.
314 Siehe Text Nr. 70-72. 32-44: Text Nr. 76-77. 15-16; Text Nr. 79. IM’,
5'-10'. ll’-16'; Text Nr. 80. 1-15’. 16-22". 23 -28’, 29 -30’, 31 -41’.
Siehe außerdem AMT 15/3. 16-17. 18-20; BAM 87. 14-21. 22. 23-24
und ferner BAM 584. Kol. II. 25'-27'(hierher?). In BAM 315 sind darüber
hinaus 18 /»////-Umschläge gegen Bann (NAM.[R]I (!)]) beschrieben.
315 Siehe Text Nr. 76-77. 17-18 (nannaktu)'. Text Nr. 79. 13' (rahäsn).
20' (rahästi), 67'-68' (ramäku). Vgl. außerdem Text Nr. 78. 40-41
(hierher?).
316 Siehe Text Nr. 76-77. 19-20; Text Nr. 79. 21-22’, 23'. 29'. 64’-65’. In
BAM 199 ist eine Salbe beschrieben, die sowohl gegen den Bann, als auch
gegen einen Totengeist Wirkung entfalten sollte.
317 Siehe Text Nr. 76-77. 21-24; Text Nr. 78. 42-44: Text Nr. 79. 24'
(Brechmittel). 26'-27'. 29'. 36 -42’(Abführmittel). 45'-47'(Brechmittel).
71’—72’, 73 -76’; Text Nr. 80. 40 -41’. Siehe außerdem BAM 1. 17 (am
ihn bubbiili zu trinken); BAM 59. 13-20 und Duplikate (siehe CMAwR 1.
216f.); BAM 191. 8-17 und // BAM 192. 8-18 (gegen Hexerei und Bann,
verbunden mit der Beschwörung EN madü sammffy. vgl. BAM 197.
22-25 (hierher?; gegen Hexerei und Bann).
318 Siehe hier die Texte Nr. 73-75 sowie Text Nr. 78. 18-32 und 45-53.
319 Siehe Text Nr. 79. 59’-63’.
320 Siehe Anm. 134 mit den entsprechenden Belegen.
321 A. Schuster-Brandis. Steine als Schutz-und Heilmittel. 255 und 261. Text
Nr. 6. Kol. IV. 31-35.
 
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