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Maul, Stefan M.; Maul, Stefan M. [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Keilschrifttexte aus Assur literarischen Inhalts (Band 10, Teilband 1): Einleitung, Katalog und Textbearbeitungen — Wiesbaden: Harrassowitz Verlag, 2019

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https://doi.org/10.11588/diglit.57036#0090
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Textbearbeitungen: Nr. 1-2

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1’ Das Verbum kimnu. “festmachen”, “hinstellen”, bezeichnet in Ritualbeschreibungen stets das aufrecht auf den
Boden Stellen von Gegenständen und Gefäßen (ggf. auch in einen Ständer), sakänu, “hinlegen”, wird hingegen
immer dann verwendet, wenn ein Gegenstand oder eine Opfergabe auf einen Opfertisch oder Vergleichbares
gelegt werden sollte (siehe S. M. Maul. BaF 18, 53, Anm. 102). Möglicherweise war in Z. 1 ’ von einem mobilen
Altärchen (patiru) die Rede, auf dem Gaben für die Tongrube präsentiert wurden (vgl. den Kommentar zu Z. 3’).
Das in Text Nr. 3, 23 und Nr. 4, 2 ausdrücklich erwähnte “Heiligen” (quddusu) der Tongrube mag mit einem
Opfer verbunden gewesen sein, so wie es anscheinend in Z. 1 ’-2’ beschrieben war.
3’ Die vorliegende Therapiebeschreibung ist. wie alle Anweisungen aus dem Bereich der Heilkunst, die nicht
gynäkologischen Charakters sind, so formuliert, als sei der Patient männlichen Geschlechts. Falls der Patient
tatsächlich ein Mann war, wurde dem “Abbild des Banns” geschlechtskomplementär das Erscheinungsbild einer
Frau gegeben (siehe dazu Text Nr. 3, 27-30). Ein solcher Ritualaufbau paßt bestens zu dem grammatischen
Geschlecht des akkadischen Wortes für “Bann”, mänütu. Unabhängig davon, ob die Schreibung NUQNAM.RIM
salam mämiti oder aber nunamrimakku o. ä. gelesen wurde (siehe dazu den Kommentar zu Text Nr. 3,13) -beide
Wörter sind grammatische Maskulina -. sind aus diesem Grund in dem vorliegenden Text Pronominal- und
Possessivsuffixe, die sich auf das “Abbild des Banns” beziehen, feminin (wenngleich nicht ganz konsequent:
vgl. Z. 5’: qaqqassa mit suddesu in Z. 24”). Dementsprechend werden sie im folgenden auch in der Übersetzung
als Femininum wiedergegeben. In dem in Z. 3 ’ nicht erhaltenen Textvertreter B war - wohl abweichend von
VAT 13760, aber in Einklang mit Text Nr. 3, 13 - die Anfertigung zweier Figürchen vorgeschrieben (siehe
Textvertreter B, Vs. 3’, 6’, 17’), die ein Brautpaar verkörpern sollten und für den “Bann” (die weibliche Figur)
und den von dem “Bann” betroffenen Menschen (die männliche Figur) standen.
Die geringfügigen Spuren im Anfang der Zeile 3’ passen zu der Lesung [ na4]smwfi/([GU]G). Dort war die
Rede von einer Spende von Metallen und edlen Steinen, die der Heiler der Tongrube zu übergeben hatte, bevor
er Ton für die Herstellung eines Figürchens entnehmen durfte (hierzu siehe S. M. Maul. BaF 18, 46-47 und
D. Schwemer, Akkadische Rituale aus Hattusa. 76 mit Anm. 239). Daß diese Gaben als regelrechter Kaufpreis
für den entnommenen Ton verstanden wurden, zeigen z. B. Text Nr. 3, 23 sowie die Ritualbeschreibung KAL 2,
Text Nr. 44 (Kol. I. 3’f.: ana 'kuP-la-te DU 1 SE [KÜ.BABBAR] / [1] SE KÜ.SI22 ana KI.GAR SUB-wu IM
ta-sam-ma) und Sm 1042 (H. Zimmern, BBR 2, Text Nr. 52 = J. Scurlock, Magico-medical means. 543-545), 4.
Die Anfertigung des Bann-Figürchens ist in Text Nr. 3, 23-24 genauer beschrieben. Demzufolge wurde es im
Angesicht des Sonnengottes, also bei Tageslicht, nach göttlicher Weisung “mit der Autorität des Ea. mit den
Künsten des Asalluhi” geformt. Ein an den Sonnengott gerichtetes Gebet, das aus dem blt rimki genannten
Ritualzyklus bekannt ist. läßt deutlich erkennen, daß man in dem Herstellen eines solchen Tonfigürchens das
Wiederholen des Schöpfungsaktes sah, in dem der Gott Ea den Menschen erschaffen hatte (siehe dazu Text
Nr. 48-51,46-47). Dem Text zufolge sollte in diesem Fall der Ton wie Fleisch auf ein Skelett aus “Holz und Rohr”
aufgetragen werden. Das Figürchen verkörperte dabei nicht etwa den Bann, sondern sollte im Ritualgeschehen als
Substitut für den vom Bann getroffenen König dienen. Angaben über die Größe solcher Figürchen fehlen bislang
(siehe dazu lediglich D. Schwemer, Akkadische Rituale aus Hattusa. 97, 171””, wo von aus Holz gefertigten
Figürchen die Rede ist. die eine Elle lang sind; siehe auch ebd. 65 und 90, 58ff).
4’-5’ In dem hier veröffentlichten Textcorpus finden sich in den Texten Nr. 3, 13-17; Nr. 4-10, 4-6; Nr. 12, 3 und
Nr. 14-15, 8-9 ganz ähnliche Passagen, in denen die Ausstattung von Tonfigürchen mit Kleidung eingehend
beschrieben ist. Die Ergänzung des Anfangs der Z. 4’ richtet sich nach denvergleichbaren Ritualanweisungen in
STT 251,10’ und dem Duplikat STT 72,44-45. Dem schlechten Erhaltungszustand der beiden hier kommentierten
Textvertreter ist es geschuldet, daß unklar bleibt, ob in Z. 4’ die Kleidung einer Frau oder die eines Mannes
beschrieben wurde. Es kommt hinzu, daß die beiden Textvertreter an dieser Stelle nicht unerheblich voneinander
abweichen. Denn während in Textvertreter A die erste Hälfte der Z. 5’ ganz klar allein von dem weiblichen
Figürchen und seiner Kleidung handelt (qaqqassa tarakkas). ist in Textvertreter B (B, Vs. 3’: qaqqass\unu
ta\rakkas\. siehe auch B, Vs. 6’ und 17’) offensichtlich von mehreren, genauer wohl - so wie in Text Nr. 3,
13 - von “zwei Abbildern des Banns, dem eines Mannes und dem einer Frau”, die Rede. Dabei stellte das erste
den Patienten, das zweite den Bann dar, unter dem der betroffene Mensch litt. Dementsprechend sollte in dem
Heilverfahren, das in Textvertreter B beschrieben ist. beiden Figürchen “der Kopf gebunden” werden, während
dies in Textvertreter A des ‘Leitfadens’ nur für das weibliche Figürchen vorgesehen war (zu diesem Ritus siehe
auch Z. 14”-15” mit dem zugehörigen Kommentar sowie Text Nr. 4—10, 56).
Der explizite Hinweis darauf, daß die “Leibbinde” aus “weißer Wolle”, zu fertigen sei. könnte ein Indiz dafür
sein, daß zumindest in Textvertreter B, Vs. 2’ (= Z. 4’) von der Bekleidung eines Mannes die Rede war. Denn aus
einem sehr ähnlichen Passus aus Text Nr. 3 (Z. 14-15) geht hervor, daß man in diesem Bannlösungsverfahren das
weibliche, den Bann darstellende Figürchen dunkel kleidete, während das den Patienten verkörpernde Figürchen
dem Sonnengott in heller, aus weißer Wolle gefertigten Gewandung präsentiert wurde. Offenbar kennzeichnete
dabei - wie in vielen anderen Kontexten auch (siehe dazu S. M. Maul. BaF 18, 99) - das Dunkle das Böse und
das Helle das Gute.
Der Kompilator des Textes legte gewiß nicht ohne Grund Wert darauf, die zu verwendenden Kleidungsstücke
hier (und in den oben aufgeführten Parallelstellen) im einzelnen zu benennen. Gleichwohl sind wir mangels
tieferer Kenntnisse leider noch nicht wirklich in der Lage zu erkennen, ob den beiden Figürchen bzw. dem
 
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